Von der Startbahn über den Gerichtssaal ins Gefängnis: Ziviler Ungehorsam gegen die Atomwaffen in Büchel

Susan Crane und Susan van der Hijden haben unerlaubt den Fliegerhorst in Büchel betreten, um gegen dort stationierte Atomwaffen zu protestieren. Nach ihrer Verurteilung haben sie den Widerstand ins Gefängnis verlegt.
Hier ist das Titelbild zu sehen. Es zeigt die Mahnwache am 30.5.2024 vor der Kommandantur der Fliegerkaserne in Cochem-Brauheck, 10 Kilometer von Büchel entfernt, mit Susan van der Hijden und Susan Crane (1. und 2. v. l.)
Mahnwache von Susan van der Hijden und Susan Crane (1. und 2. v. l.) am 30.5.2024 vor der Kommandantur der Fliegerkaserne Cochem-Brauheck, 10 Kilometer von Büchel entfernt

Von Gerd Büntzly

Auf dem Luftwaffenstützpunkt Büchel in der Eifel, nahe bei Cochem, werden für die neuen Flugzeuge vom Typ F-35, die die bisherigen vom Typ ‚Tornado’ ersetzen sollen, zurzeit die Startbahnen verlängert. Dazu sollen auch neue, „bessere“ Atombomben aus den USA geliefert werden (B61-12), die wegen ihrer vielfältigen Einsetzbarkeit die Gefahr eines Atomkrieges weiter erhöhen werden.

Gegen Atomwaffen allgemein und besonders gegen diese fatale neue Entwicklung gibt es seit vielen Jahren internationalen Widerstand mit Aktionen Zivilen Ungehorsams: Immer wieder wurden die Tore blockiert, immer wieder verschafften sich Menschen Zugang zum Gelände, um klarzumachen, dass sie die Atomwaffen dort für illegal, weil völkerrechtswidrig halten. Viele von ihnen wurden wegen „Hausfriedensbruchs“ (oft in Zusammenhang mit Sachbeschädigung am Zaun) zu Geldstrafen verurteilt. Einige von ihnen weigerten sich, die Strafe zu bezahlen, und gingen lieber ins Gefängnis.

Susan Crane und Susan van der Hijden

Susan Crane und Susan van der Hijden sind zwei von ihnen.

Susan Crane ist inzwischen 80 Jahre alt, lebt in Gemeinschaften des Catholic Worker Movements zumeist in Kalifornien, und betreibt seit Jahrzehnten Friedenserziehung und Friedensaktivismus. Dies schließt sogenannte Pflugschar-Aktionen, also das Eindringen in Atomwaffenlager, ebenso ein wie den Widerstand gegen Kriegssteuern. So hat sie 1997 ihr eigenes Blut auf einem nuklear bestückten Zerstörer vergossen. Sie wurde mehrmals zu Gefängnisstrafen verurteilt (siehe https://en.wikipedia.org/wiki/Susan_Crane_(peace_activist)).

Auch Susan van der Hijden, 55, ist beim Catholic Worker Movement aktiv, und zwar in Amsterdam. Unter anderem wirkt sie bei Aktionen von Extinction Rebellion mit.

Dennis duVall und John LaForge

US-Bürger Dennis DuVall (81), ein Vietnam-Veteran, der in Sachsen lebt, ist Mitglied der „Veterans for Peace“ und langjähriger Anti-Atomwaffen-Aktivist. Er war wiederholt bei Aktionen Zivilen Ungehorsams dabei.  Aktuell haben die deutschen Behörden die Ausweisung beantragt.

John LaForge (68) aus Luck, Wisconsin, ist Redakteur der Zeitschrift Nukewatch Quarterly.

Im vergangenen Jahr haben die beiden für mehrere Monate in Deutschland eine „Mahnwache im Gefängnis“ gehalten, statt eine Geldstrafe wegen ihres Eindringens in den Fliegerhorst in Büchel zu bezahlen.

Miriam Krämer und ich selbst

Ich selbst bin zu 90 Tagessätzen verurteilt worden und rechne damit, nach einer seit dem 1. Februar 2024 geltenden Gesetzesänderung (StGB § 43: Ersatzfreiheitsstrafe, https://dejure.org/gesetze/StGB/43.html) für 45 Tage ins Gefängnis zu gehen, und zwar in Brackwede bei Bielefeld. Grund für meine Verurteilung ist eine Aktion am 8.5.2023, als ich zusammen mit sechs anderen Personen das Militärgelände Büchel besetzt habe. Am Tag meines Prozesses stand auch noch ein anderes Mitglied der Gruppe Gewaltfreie Aktion Atomwaffen abschaffen (GAAA) vor Gericht, Miriam Krämer.

Während Miriam wie wir alle in den vergangenen Jahren ausführlich ihre Motive für die gewaltfreie Aktion darlegte, erklärte ich, die Gerichte hätten unsere Argumentation inzwischen oft genug gehört. Sie hätten sich nicht das Geringste auf uns eingelassen und auch alle unsere Beweisanträge abgelehnt. Daher sehe ich keine Möglichkeit mehr, mich zu verteidigen und würde in Zukunft vor Gericht schweigen.

Was wir tun: die Tat wird verkündet, die Beweisaufnahme zur Farce

Dabei gibt es beim Tathergang nichts zu beschweigen. Denn wir „gestehen“ ja nicht, was wir getan haben. Nein, wir verkünden es! Die Tatsache, dass wir den Gesetzesbruch in aller Öffentlichkeit verüben und alles dafür tun, damit möglichst viele Menschen davon erfahren, unterscheidet unser Tun von dem gewöhnlicher Straftäter*innen.

Was auch immer die Polizei an Beweisen sammelt – Fotos, Identität, etc., – das haben wir vorher schon längst öffentlich gemacht: Die ausgerollten Transparente, mit denen wir auf der Rollbahn spazieren gehen oder dass wir anschließend freundlich mit den anwesenden Militärangehörigen sprechen.

Die Beweisaufnahme bei der Verhandlung gerät somit zur Farce: In Bezug auf die angeklagte Tat ist nichts strittig. Dass unsere Aktionen ein moralisches Problem aufwerfen, spielt für die Urteile keine Rolle, dass sie die Logik von Polizei und Justiz durcheinanderbringen und schon deshalb zum Nachdenken anregen sollten, ebenso wenig.

Beispielsweise heißt es in den Urteilsbegründungen immer wieder, die Angeklagten seien geständig und das sei zu ihren Gunsten zu werten. Die Gerichtssprache hat kein Wort für das, was wir tun. Das hat ein Staatsanwalt auch schon eingeräumt. Und dennoch findet die Verurteilung statt.

Doch damit endet unser Widerstand nicht, die gewaltfreie Aktion geht im Gefängnis weiter.

Gefängnis: Mahnwache drinnen und draußen

Nach einer Friedenswanderung vom Luftwaffenstützpunkt Büchel in der Eifel zum Gefängnis in Wöllstein, Rheinland-Pfalz, haben die erwähnten Frauen Anfang Juni 2024, begleitet von einer Gruppe von Gleichgesinnten, ihre Ersatzfreiheitsstrafe angetreten: Susan Crane für fast sieben Monate, Susan van der Hijden für fast vier. Sie verstehen diese Zeit als „Mahnwache hinter Gittern“ – und die Aktiven vor Ort haben zugesagt, einmal pro Woche vor dem Gefängnis eine Mahnwache zu halten.

Über ihre Beweggründe schreiben sie in einem Brief aus dem Gefängnis, der nachfolgend dokumentiert wird.

Ein Brief aus dem Gefängnis: Mahnwache hinter Gittern – Für eine Welt ohne Waffen!

Rohrbach, 18. Juni 2024
Hier in der Justizvollzugsanstalt Rohrbach werden wir geweckt von dem Gurren der Tauben und dem Gesang anderer Vögel, was uns die Illusion vermittelt, dass alles in Ordnung ist auf der Welt, bis andere Geräusche, klappernde Schlüssel, geschlossene Türen und Wärter*innen, die die morgendliche Leibesvisitation durchführen, uns in die Realität zurückholen.

Wir sitzen in einer Gefängniszelle, 123 km vom Luftwaffenstützpunkt Büchel entfernt, wo ca. 20 US-Atombomben stationiert sind. Derzeit wird die Landebahn in Büchel umgebaut, um Platz für die neuen
F-35-Kampfflugzeuge zu schaffen, die die neuen B61-12-Atombomben tragen werden, die in den USA entwickelt und gebaut wurden.

Die Entwicklung, die Einsatzbereitschaft, der Besitz, der Einsatz, die Drohung oder der Gebrauch dieser B61-Bomben ist illegal und kriminell. Die USA, Deutschland und die NATO wissen, dass jede Atombombe vom Typ B61 unnötiges Leid und viele Opfer unter Soldat*innen und Zivilist*innen verursachen und massenhaft Krebs (…) und Leukämie auslösen, bei Babys zu angeborenen Missbildungen führen und die Nahrungsmittelversorgung vergiften würde.

„Wir haben kein Recht zu gehorchen“, sagt Hannah Arendt.

Obwohl unsere Aktionen sinnlos erscheinen mögen, verstehen wir, dass es unser Recht, unsere Pflicht und unsere Verantwortung ist, uns gegen die Planung und Vorbereitung des Einsatzes dieser Waffen zu stellen. Sie sind illegal gemäß dem Atomwaffensperrvertrag, den sowohl Deutschland als auch die USA unterzeichnet und ratifiziert haben, sowie gemäß der Haager Konvention, der Genfer Konvention und der Nürnberger Charta.

Während der internationalen Friedenscamps in Büchel (organisiert von der GAAA, die unter anderem aus IPPNW, ICAN, Internationalem Versöhnungsbund und DFG-VK besteht) gingen wir zusammen mit anderen Kriegsgegner*innen und mit der Hilfe vieler Unterstützer*innen auf den Luftwaffenstützpunkt Büchel, um mit dem Militärpersonal über die Illegalität und Unmoral der Atombomben zu sprechen. Wir wollten auch unsere Zustimmung und Mittäterschaft zu ihrem Einsatz zurückziehen.

Die Richter*innen, die uns für diese Aktionen verurteilten, trafen die Entscheidung, einige Gesetze zu befolgen und andere zu ignorieren. Es ist gesunder Menschenverstand und wir alle wissen, dass sogar das Gesetz gegen Hausfriedensbruch gebrochen werden kann, wenn das Leben gefährdet ist.

Die Richter*innen und Staatsanwält*innen sowie die Wärter*innen im Gefängnis behandeln uns respektvoll und höflich, halten sich aber gleichzeitig an Gesetze und Regeln, die ungerecht sind und Leid verursachen. Das größte Verbrechen in ihren Augen ist es, die „Ordnung“ zu stören, auch wenn die Ordnung darauf angelegt ist, kriminell zu sein.

Wir wachen jeden Tag mit der festen Freude auf, unsere „Mahnwache hinter Gittern“ fortzusetzen. Eine Freude, die durch das Wissen eingeschränkt wird, dass die anderen Frauen hier leiden, weil sie von ihrer Familie und ihren Kindern getrennt sind, ständige körperliche oder psychische Probleme haben oder weil sie den ganzen Tag in einer Zelle eingesperrt sind und nichts tun können.

Wir können nur „Mahnwache hinter Gittern“ halten, weil uns Menschen so viel Unterstützung zukommen lassen, dass unsere Catholic-Worker-Häuser weitergeführt werden können, weil sie uns Karten und Briefmarken schicken, Besuche und Geld für Telefongespräche organisieren, in ihren Gebeten an uns denken, Pressearbeit leisten und weil sie weiterhin gegen die todbringenden Kriegstreiber dieser Welt kämpfen. Wir wünschen euch allen Segen!
SUSAN CRANE und SUSAN VAN DER HIJDEN“
(Deutsche Übersetzung aus dem englischen Original: Marion Küpker)

Inzwischen sind beide Frauen in den offenen Vollzug der Justizvollzugsanstalt Koblenz verlegt worden.

Was Ihr tun könnt

Solidaritätspostkarten und -briefe können an folgende Adresse gesandt werden:
Susan Crane + Susan van der Hijden, JVA Koblenz – Offener Vollzug,
Simmerner Str. 14 a, 56075 Koblenz.

Info über das Atomwaffenlager, Aktionen Zivilen Ungehorsams und deren Rechtsfolgen gibt es hier:
https://buechel-atombombenfrei.jimdofree.com/

Zum Autor

Gerd Büntzly (74) ist Musiker und Sprachlehrer und seit vielen Jahren dem Widerstand gegen das Militär verbunden. Er hat in den Zeitschriften Graswurzelrevolution, Ossietzky und Friedensforum Artikel veröffentlicht. Sein Lied zum Ende des Afghanistan-Krieges findet sich hier auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=QOI7rN38C-k&list=PLTYp6Ub1QIkdV2rgw-cOAnJb3FYoK_Iqb&index=2

Hinweis der Redaktion

Eine weitere Aktivistin gegen die Atomwaffen in Büchel ist Ria Makein aus Bedburg-Hau. Wir dokumentieren ihre Rede vor Gericht in einem eigenen Beitrag.

Mit der Veröffentlichung dieser Texte beteiligt sich die ga-Redaktion im Gedenken an Hiroshima und Nagasaki an den weltweiten Mahnwachen in und außerhalb von Gefängnissen.

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