von Dalilah Shemia-Goecke, 5. Mai 2025
Ein kühler Abend, ein ungeduldiger Blick auf die Uhr. In der Hand ein Stapel Flugblätter, im Kopf einstudierte Sätze. Dann das erste Klopfen an einer fremden Tür – und die Frage: Wird sie geöffnet? Wird jemand zuhören? Wer sich für politische Organizing-Arbeit engagiert, kennt diesen Moment. Den Moment, in dem Aktivismus nicht mehr nur ein Online-Post oder ein Straßenprotest ist, sondern ganz konkret wird: von Mensch zu Mensch, von Haustür zu Haustür.
In der neuen Folge von Tee und Taktik tauchen Lea Bonasera und Dalilah Shemia-Goeke in die Welt des Organizing ein – also in die Kunst, politische Bewegungen durch direkte Gespräche und Beziehungsarbeit aufzubauen. Im Deutschen wird auch von Basisarbeit, Organisieren oder Machtaufbau von unten gesprochen.
Anlass ist der jüngste Wahlerfolg der Linken in Deutschland, der nicht zuletzt durch eine massive Organisieren-Kampagne mit über 600.000 Haustürgesprächen möglich wurde.
Doch was steckt hinter dieser Strategie? Was können Aktive in Kampagnen und Bewegungen daraus lernen? Und welche Herausforderungen bringt diese Form des politischen Engagements mit sich?
Warum Organisieren wirkt
Organisieren ist mehr als Mobilisierung. Es geht nicht nur darum, Menschen dazu zu bringen, an einer Demo teilzunehmen oder eine Petition zu unterschreiben. Es geht darum, Menschen dazu zu befähigen, sich selbst für ihre eigenen Anliegen aktiv einzusetzen – und dabei nicht nur Gleichgesinnte zu erreichen, sondern auch die, die bisher skeptisch oder unentschlossen waren. Und das gelingt durch Beziehungen, die Vertrauen schaffen.
In der Podcast-Folge berichten vier Menschen aus verschiedenen Städten, die an den Haustürgesprächen teilgenommen haben von intensiven Begegnungen: Von Gesprächen mit Menschen, die seit Jahren das Gefühl hatten, ihre Stimme zähle nicht. Von Momenten, in denen Misstrauen in Neugier umschlug – und sich in echten politischen Wandel verwandelte.
Von den USA nach Deutschland: Was wir aus erfolgreichen Organisieren-Kampagnen lernen können
Die Idee des Organisierens ist nicht neu. In den USA war es eine Schlüsselstrategie für Barack Obamas Wahlerfolg 2008, aber auch für zahlreiche gewerkschaftliche und soziale Bewegungen. Die jüngsten Kampagnen zeigen, dass auch in Deutschland direkter Kontakt zu Wähler*innen einen massiven Unterschied machen kann.
Doch Organisieren funktioniert nicht nur im Wahlkampf. Auch Bewegungen für soziale Gerechtigkeit, Klimaaktivismus oder Antifaschismus können von diesen Strategien profitieren. Was wäre, wenn Klima- oder Friedensgruppen nicht nur Plakate aufhängen oder in den sozialen Medien posten, sondern Menschen aus anderen Kreisen persönlich ansprechen würden, und zwar koordiniert und systematisch?
Ein erster Schritt aus der eigenen Blase ist, gezielt Räume aufzusuchen, in denen Menschen mit anderen Hintergründen und Perspektiven zusammenkommen – sei es in Sportvereinen, Nachbarschaftsinitiativen oder an Arbeitsplätzen. Dort geht es nicht darum, sofort mit politischen Argumenten zu überzeugen, sondern zunächst zuzuhören: Welche Sorgen treiben die Menschen um? Welche Themen bewegen sie? Statt große Debatten zu führen, hilft es oft, gemeinsame Anliegen zu finden – sei es steigende Mieten, soziale Ungerechtigkeit oder Umweltschutz. Wer verbindende Themen statt trennender Schlagworte wählt, öffnet Türen. Eine bewährte Methode ist auch, persönliche Geschichten zu erzählen, statt mit Fakten zu konfrontieren. Und schließlich: Beständigkeit. Veränderungen entstehen nicht durch einen einzigen Dialog, sondern durch langfristige, vertrauensvolle Gespräche – immer mit dem Ziel, nicht gegeneinander, sondern miteinander ins Handeln zu kommen.
Ist Organisieren die Zukunft der Bewegungspolitik?
Diese Folge von Tee und Taktik gibt einen faszinierenden Einblick in eine der vielleicht wirkungsvollsten – und zugleich herausforderndsten – Methoden des politischen Aktivismus. Sie stellt nicht nur die Erfolge in den Mittelpunkt, sondern auch die offenen Fragen: Wie nachhaltig sind solche Kampagnen? Was passiert nach der Wahl? Und wie lassen sich diese Prinzipien auf andere Kämpfe für eine gerechtere Gesellschaft übertragen?
Die Podcast-Hosts jedenfalls finden, dass sich gewaltfreie Aktionen und Organisieren hervorragend ergänzen. Die Philosophie gewaltfreien Widerstandes zeigt auf, welche Aktionsformen, wie Straßenblockaden, Streiks oder Boykotte, angewandt werden können – und warum sie wirksam sind. Doch es fehlt manchmal an Informationen, wie denn diese tausenden Menschen, die da mitmachen sollen, auch dazu bewegt werden können. Organisieren gibt da einige Impulse.
Hört rein, diskutiert mit – und vielleicht klopft ihr nach dieser Folge selbst an die erste Tür.
Die Folge ist jetzt überall verfügbar, wo es Podcasts gibt: Spotify, podcast.de und Apple Podcasts.
Zur Autorin
Dalilah Shemia-Goeke ist ausgebildete Friedensfachkraft und hat Erfahrungen als Organizerin. In ihrer Dissertation hat sie dazu geforscht, wie ziviler Widerstand genutzt werden kann, um die Macht globaler Konzerne einzuschränken. Sie bietet Workshops sowie Uni-Kurse zu Strategien gewaltfreier Bewegungen an. Mit Lea Bonasera macht sie den Podcast Tee & Taktik. Seit dem 17. März ist sie Ko-Geschäftsführerin des Bund für Soziale Verteidigung. Von ihr stammt die Idee, ein Projekt wie gewaltfreieaktion.de zu starten.
Transparenzhinweis
gewaltfreie-aktion.de-Redakteur Stephan Brües ist Ko-Vorsitzender des Bund für Soziale Verteidigung und damit formal der Arbeitgeber von Dalilah. Abgesehen von diesen Formalia arbeiten sie einfach gleichberechtigt zusammen – die eine hauptamtlich, der andere ehrenamtlich.
