Von Meis Alkhafaji
Warum dieser Artikel?
In Zeiten polarisierter Debatten, etwa zu sozialen Bewegungen, Krieg und Frieden, Ungleichheit, Pandemie, Rassismus, Klimagerechtigkeit oder Menschenrechten, tauchen Kommentare in Social Media häufig spontan, emotional und manchmal hasserfüllt auf. Für alle, die sich für Gewaltfreiheit, zivilgesellschaftliche Themen oder Konfliktbearbeitung interessieren, ist der Umgang mit solchen Kommentaren eine große Herausforderung. Wichtig ist: Es gibt sinnvolle Strategien, wie man auf Hass, Hetze oder Desinformation reagieren kann – nicht aus Frust, sondern bewusst, respektvoll und wirkungsvoll.
Im Folgenden fasse ich Empfehlungen zusammen, inspiriert u.a. durch die Arbeit von LOVE‑Storm, sowie durch Erkenntnisse aus Forschung und Praxis zu digitaler Zivilcourage und Gegenrede (Counter-Speech).
Warum digital-zivilcouragiertes Handeln gerade jetzt wichtig ist
Hatespeech im Netz ist keine „Bagatelle“, die man ignorieren kann. Sie kann Menschen zum Schweigen bringen, demokratische Teilhabe untergraben und Gewalt legitimieren. Initiativen wie LOVE-Storm sehen das Internet als sozialen Raum mit Verantwortung, Mitbestimmung und Gestaltungsmöglichkeiten.
Für alle, die sich mit sozialen Bewegungen, Gerechtigkeit oder Konfliktbearbeitung beschäftigen: Der digitale Raum ist ein wichtiger Schauplatz. Wer ihn empathisch, mutig und reflektiert mitgestaltet, trägt dazu bei, dass er nicht zu einem Ort der Angst und der Spaltung wird, sondern zu einem Ort des Dialogs, der Teilhabe und der Gemeinschaft.
Wer oder was ist Love Storm?
- LOVE-Storm ist eine Bildungsinitiative gegen Hass im Netz vom Bund für Soziale Verteidigung e.V., Zielgruppen sind zivilgesellschaftlich Engagierte, pädagogische Fachkräfte und Communities. In verschiedenen Trainings bekommen Menschen Wissen und Werkzeuge, um bei Hasskommentaren digital zivilcouragiert handeln zu können. www.love-storm.de
- Ein zentrales Element sind Online-Rollenspiele in einem eigens entwickelten digitlen Trainingsraum. Im geschützten Rahmen können Teilnehmende unterschiedliche Rollen einnehmen – etwa als betroffene Person, als unterstützende Person oder als Teil der Community, die diskriminierende Angriffe beobachtet. So erfahren sie, wie es sich anfühlt, Hass im Netz mitzuerleben, und wie aus passiven Zuschauenden aktive Unterstützer*innen werden können. Auf diese Weise lassen sich verschiedene Formen digitaler Zivilcourage praktisch erproben und einüben.
- LOVE-Storm folgt konsequent dem Prinzip der Gewaltfreiheit. Im Umgang mit angreifenden Personen geht es darum, nicht mit Gegen- oder verbaler Gewalt zu reagieren, sondern bewusst deeskalierend zu handeln. Gewaltfreie Reaktionen verhindern die Eskalation von Hass, schützen vor eigener Grenzüberschreitung oder Strafbarkeit und setzen zugleich klare, nachvollziehbare Grenzen. Ziel ist es, Hass nicht weiter anzuheizen, sondern Verantwortung im digitalen Raum sichtbar zu machen.
Für Organisationen und Communities könnte LOVE-Storm also ein interessantes Angebot sein, etwa, wenn sie Workshops anbieten, digitale Räume moderieren oder junge Menschen für digitale Konfliktkompetenz befähigen wollen.
Grundprinzipien im Umgang mit Hasskommentaren
Bevor wir zu konkreten Strategien kommen: Manche Grundsätze haben sich als besonders hilfreich erwiesen.
- Werte beibehalten: Wer offline für Respekt, Empathie und Gewaltfreiheit steht, sollte diese Werte auch in der Online-Kommunikation zur Geltung bringen, auch und gerade unter Druck.
- Strukturelles Verständnis gewinnen: Hass im Netz ist nicht nur ein individuelles Problem, sondern ein System mit Täter*innen, Diskriminierten und Betroffenen von digitaler Gewalt und Zuschauenden. Wer alle Ebenen betrachtet, kann wirksamer intervenieren. Und sich aussuchen, auf wem der Fokus liegt. So kann ich überlegen, was in meinen Fähigkeiten liegt: Unterstütze ich Betroffene, versuche ich Zuschauende zum Einschreiten zu aktivieren oder setze ich Angreifenden gewaltfrei Grenzen. LOVE-Storm betont diesen systemischen Ansatz.
- Vorher üben statt spontan reagieren: Hass im Netz löst oft Angst, Wut oder Verteidigungsreaktionen aus – das ist eine ganz natürliche Reaktion des Körpers. Impulsive Antworten entstehen schnell, verschärfen jedoch häufig die Situation. Ruhiges und reflektiertes Handeln ist deshalb keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Fähigkeit, die trainiert werden kann. Trainings und Rollenspiele unterstützen dabei, Sicherheit zu gewinnen und auch unter Druck handlungsfähig zu bleiben.
Konkrete Handlungsstrategien für Kommentare und Hate Speech
Hier sind bewährte Strategien mit Tipps aus LOVE-Storm-Trainings.
- Deeskalieren, reflektieren, ggf. nicht reagieren
- Überlegt euch zuerst eine Strategie: Reagieren? Löschen? Ignorieren? Unterstützung holen? Manche Kommentare sind Provokation, und Aufmerksamkeit ist genau das, was Trolls suchen.
- Richtet euch möglichst auf die Aussage, nicht auf die Person. Wie ihr interveniert, hängt jedoch stark vom Kontext ab. Nicht jede angreifende oder emotionalisierte Person lässt sich durch Fakten erreichen, und nicht immer sind Fakten sofort verfügbar oder sinnvoll. Neben sachlicher Einordnung können auch andere Moderationsstile hilfreich sein – etwa das Benennen von Diskriminierung oder Gewaltformen, das Setzen klarer Grenzen oder das Einordnen für Mitlesende. Digitale Zivilcourage bedeutet, situativ passende Formen des Eingreifens zu wählen.
- Manchmal kann es ein bewusster, selbstfürsorglicher Schritt sein, sich nicht direkt in eine Diskussion einzulassen. Nicht jede Auseinandersetzung lohnt den psychischen Aufwand. Digitale Zivilcourage geht jedoch einen Schritt weiter als Schweigen: Auch wenn man Angreifende nicht direkt adressiert, können Betroffene unterstützt und Zuschauende aktiviert werden. So bleiben problematische Aussagen nicht unwidersprochen, ohne dass Einzelne sich selbst überfordern.
Hinweis: Weiterführende Informationen sind auch aus der Gratis Online Version der LOVE-Storm Chatbroschüre zu finden.
- Gegenrede mit Haltung
Der Ansatz der Gegenrede, also das bewusste, friedliche Reagieren auf Hass mit Argumenten, Information und Empathie, kann unter Umständen hilfreich und wirksam sein. Das ist immer vom Kontext abhängig und ihr müsst eure eigenen Grenzen kennen und schützen.
Einige bewährte Taktiken:
- Fakten darstellen: Wenn Hasskommentare auf falschen Annahmen, Vorurteilen oder Fehlinformationen beruhen -> sachlich widersprechen, mit seriösen Quellen.
- Empathie & Menschlichkeit zeigen: Statt mit Hass zu kontern, den Menschen nicht entmenschlichen; als Person sehen. Das entzieht Hetze Kraft.
- Humor oder kreative Sprache (wo sinnvoll und sicher): Humor oder eine andere Tonalität können in manchen Kontexten deeskalierend wirken und Aufmerksamkeit auf problematische Aussagen lenken. Aber es besteht die Gefahr von Missverständnissen oder zusätzlicher Eskalation. Deshalb sollten humorvolle Interventionen nur eingesetzt werden, wenn Kontext, Beziehung und eigene Sicherheit dies zulassen und klar ist, dass sie sich an Mitlesende richten – nicht auf Kosten von Betroffenen.
- Alternative Perspektiven schreiben: Geschichten, Erfahrungen, Zusammenhänge zeigen, warum Hate Speech schadet und warum Vielfalt und Respekt wichtig sind. Oft erreichen wir so Menschen, die unsicher oder unentschieden sind, eher als die, die bewusst hassen.
- Moderation, Community-Richtlinien & klare Rahmen
- Das Internet ist kein rechts- oder straffreier Raum. Wer digitale Räume nutzt oder gestaltet, trägt Verantwortung für das, was dort passiert. Wenn ihr einen Kanal, eine Seite oder eine Gruppe betreut oder an der Moderation beteiligt seid, könnt und solltet ihr klare Regeln aufstellen, kommunizieren und schützen. Öffentliche und transparente Richtlinien schaffen Orientierung, setzen Grenzen und ermöglichen konsequentes Handeln.
- Legt eine sichtbare Kommentarrichtlinie fest: Welche Sprache toleriert ihr, was wird gelöscht oder blockiert? Das schafft Transparenz und beugt Verwirrung vor.
- Bei Hate Speech: löschen, blockieren, melden, und zwar konsequent. Besonders, wenn Kommentare beleidigen, diskriminieren oder bedrohen, können auch rechtliche Schritte eingeleitet werden.
- Nutzt, wenn möglich, Tools für Moderation oder automatisierte Filter, um gegebenenfalls Screenshots zu erstellen und anzuzeigen, Kommentare zu managen. Gerade als Organisation kann das hilfreich sein.
- Gemeinschaft und kollektives Handeln
Online-Hass allein bekämpfen ist oft kräftezehrend. Gemeinschaft hilft! Unser Motto ist daher: „Nie alleine gegen Hass im Netz“!
- Aktivist*innen und Interessierte vernetzen: mit Gleichgesinnten, anderen Organisationen oder Bildungsinitiativen wie LOVE-Storm, um Erfahrungen, Strategien und Unterstützung auszutauschen.
- Als Community gemeinsamen Standards z. B. für Kommentarspalten oder Gruppen zustimmen und gemeinsam für sie einstehen. Gruppenmoderation wirkt oft nachhaltiger als Einzel-Moderation.
- Betroffene nicht alleine lassen: Solidarität zeigen, sie unterstützen, auch dadurch, dass andere Nutzer*innen gegen Hatespeech Stellung beziehen. Das signalisiert: „Du bist nicht allein.“
- Suche dir eine Vertrauensperson, mit der du deine Erlebnisse besprechen kannst.
Für wen sind diese Strategien und wann sind sie sinnvoll?
Diese Empfehlungen richten sich an alle, die Hass und Diskriminierung im Netz nicht einfach stehen lassen wollen und sich für ein solidarisches, verantwortungsvolles Miteinander in digitalen Räumen einsetzen möchten:
- Wenn ihr selbst Beiträge im Internet teilt, etwa Berichterstattungen oder politische Kommentare, solltet ihr euch im Vorfeld darauf vorbereiten, dass unterschiedliche – auch ablehnende oder verletzende – Reaktionen folgen können. Wer Inhalte veröffentlicht, übernimmt Verantwortung für den digitalen Raum, den er oder sie damit öffnet, und sollte entsprechend auf mögliche Formen von Hass oder Eskalation vorbereitet sein.
- Wenn ihr Gruppen, Kanäle oder Social-Media-Seiten betreut, etwa für Initiativen, Vereine oder Bildungsarbeit, sind klare Moderationsregeln hilfreich. Sie machen transparent, wann und wie auf negative, diskriminierende oder grenzüberschreitende Kommentare reagiert wird – etwa durch Einordnung, Begrenzung, Unterstützung Betroffener oder Moderationsmaßnahmen.
- Wenn ihr junge Menschen begleitet oder Bildungsarbeit macht: Die Ansätze von LOVE-Storm bieten gute Methoden, um digitale Zivilcourage zu lehren.
Grenzen wahrnehmen – Risiken minimieren
- Emotionaler Aufwand: Sich dauerhaft mit Negativkommentaren auseinanderzusetzen, kann emotional belastend sein. Deshalb ist es wichtig, Unterstützung zu suchen, Aufgaben zu teilen und bewusst Abstand zu nehmen. Digitale Zivilcourage braucht nicht allein gezeigt zu werden. Wenn keine Gruppe oder Community verfügbar ist, kann auch eine einzelne Vertrauensperson außerhalb des digitalen Raums helfen – jemand, mit dem wir über das Erlebte sprechen und es einordnen können.
- Algorithmische Dynamik: Jede Interaktion im Netz – ob Kommentar, Like oder Teilen – beeinflusst Sichtbarkeit. Während Reaktionen auf Hass dessen Reichweite unbeabsichtigt erhöhen können, gilt umgekehrt auch: Wenn wir solidarische, respektvolle und konstruktive Beiträge bewusst unterstützen, können wir digitale Räume aktiv mitgestalten. Die Frage ist also nicht nur, worauf wir reagieren, sondern auch, was wir stärken wollen.
- Sicherheit & Selbstschutz: Achtet insbesondere bei Themen wie Rassismus, Sexismus, Extremismus etc. auf Sicherheit, kollektive Moderation und Schutz für Betroffene! Hier sind Trainings wie die von LOVE-Storm besonders wertvoll.
Empfehlungen: Ein praxisnaher Mini-Fahrplan
- Entwickelt eine Kommentarrichtlinie für euren Kanal / eure Gruppe — transparent, öffentlich, klar.
- Sammelt mit ein paar Mitstreiter*innen eine kleine Community, die sich im Zweifel solidarisch zeigt. Eine Art Netzfeuerwehr. Auch wir von LOVE-Storm arbeiten daran und freuen uns über einen solidarischen Austausch.
- Probiert eine Digitale-Zivilcourage-Strategie: empathisch und ruhig. Tatsachen, Geschichten, menschliche Perspektiven, kein Angriff.
- Nutzt bei Bedarf Moderation & Filter und bei schwerwiegenden Fällen: Löschen, Blockieren, Melden. Und gegebenenfalls screenshotten und anzeigen!
- Bildet euch weiter: Fortbildungen, Workshops, Tools z. B. mit Angeboten wie LOVE-Storm.
Über die Autorin
Meis Alkhafaji ist Trainerin bei Love-Storm im Projekt “Demokratie leben: „Kooperationsverbund Demokratische Konfliktbearbeitung“. Sie ist Fachfrau mit umfassenden Erfahrungen in der politischen Bildungsarbeit und ‑forschung. Sie hat sich auf diskriminierungskritische Bildung, Moderation und Evaluation spezialisiert und neue Bildungsformate gegen Antisemitismus und Rassismus entwickelt.