Bericht der Initiative „Sicherheit neu denken“ von der Münchener Sicherheitskonferenz (MSC) 2025

Ralf Becker hat als Beobachter der Initiative „Sicherheit neu denken“ an der MSC 2025 teilgenommen und konstruktive Vorschläge für den Frieden in der Ukraine sowie zur Überwindung der Gewalt im Nahen Osten und in Afrika eingebracht.
Impressionen vom MSK in einer Collage
Collage mit Impressionen von der MSK: Auf den Bildschirmen sind zu sehen von links nach rechts: US-Vizepräsident, J.D. Vance (auf dem kleinen Monitor), der chinesische Außenminister, Wang Yi und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi (Fotos: Ralf Becker, Collage: Stephan Brües).

Von Ralf Becker

Bericht zur Münchener Sicherheitskonferenz

Wir haben eine historische Sicherheitskonferenz erlebt – der westliche Wertekonsens, 60 Jahre lang selbstverständliche Grundlage der Münchner Sicherheitskonferenz und der europäischen NATO-Sicherheitspolitik, wurde von den USA aufgekündigt. Umso wichtiger sind konstruktive Vorschläge zum Umgang mit internationalen Konflikten.

Die Initiative „Sicherheit neu denken“ schlägt in ihrem neuen Szenario „Europas Rolle für den Frieden in der Welt“ u.a. vor, dass die Vereinten Nationen (VN) Sicherheitsgarantien für die Ukraine übernehmen. Das könnte zur Überwindung imperialen Dominanzstrebens sowohl von Russland, China, der USA als auch Europas selbst beitragen. Zudem regt das Szenario nach dem Vorbild der KSZE eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit für den Nahen und Mittleren Osten / Westasien an.

Die Initiative „Sicherheit neu denken“ konnte während und nach der MSC folgende Vorschläge und Themen ins Gespräch bringen:

  1. Sicherheit neu denken für die Ukraine: Sicherheitsgarantien der VN
  2. Sicherheit neu denken im Mittleren und Nahen Osten / Westasien:
    Eine ständige Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit
  3. Sicherheit neu denken in Afrika:
    Die neue Bundesregierung kann und muss nachhaltig zivile und
    kirchliche Sicherheitsakteur*innen unterstützen
  4. Lesenswerter Bericht der MSC zur weltweiten Multipolarisierung

Die genannten Punkte werden im Folgenden erläutert.

1. Sicherheit neu denken für die Ukraine: Sicherheitsgarantien der VN

Als Initiative „Sicherheit neu denken“ konnten wir in München in zahlreichen Gesprächen unseren Vorschlag von Sicherheitsgarantien der VN für die Ukraine einbringen (siehe Positiv-Szenario, S. 6).

Eine von der UNO ausgesprochene Sicherheitsgarantie mit – falls von dieser gewünscht – einer in der Ukraine stationierten VN-Sicherheitstruppe mit Beteiligung z.B. indischer, südafrikanischer, brasilianischer, schweizerischer oder anderer internationaler Streitkräfte.

Anders als zuvor angedacht sollten nicht nur NATO- oder EU-Staaten solche Sicherheitsgarantien aussprechen, weil die dem Ukrainekonflikt u.a. zugrundeliegende Spannung zwischen westlichen Staaten und Russland aufrechterhalten und mit einer bleibenden Unsicherheit für alle Beteiligten verbunden bliebe.

Eine internationale VN-Sicherheitstruppe in der Ukraine würde ihre Stärke insbesondere daraus beziehen, dass sich alle Beteiligten auf ihren Sinn, ihre Aufgabe, Funktion und die Regeln ihres Einsatzes einigen würden. Eine nicht nur von westlichen Staaten gebildete VN-Schutztruppe könnte von Russland als nachhaltig stabilisierend akzeptiert, respektiert und mitbeauftragt werden.

Vor diesem Hintergrund bräuchte eine VN-Schutztruppe tendenziell nur wenig bis gar keine militärische Bewaffnung, sondern könnte als eine Art Internationale Polizei mit überwiegend polizeilicher Bewaffnung wirken.

Wir sehen in diesem Vorschlag die Möglichkeit, den fehlenden Willen der USA zur Beteiligung an den notwendigen Sicherheitsgarantien für die Ukraine durch die Beteiligung von BICS-Staaten (BRICS ohne Russland) zu ersetzen – mit dem wirkungsvollen Nebeneffekt einer Stärkung der Vereinten Nationen und des Globalen Südens und damit des Völkerrechts. Auf diese Weise könnte Europa aus der aktuellen Krise heraus idealerweise zentrale Ziele unserer europäischen Sicherheitspolitik durchsetzen – und den imperialen Ambitionen sowohl des US-Präsidenten Trump als auch des russischen Präsidenten Putin gemeinsam mit Ländern des Globalen Südens etwas Realistisches entgegensetzen.

Dieser Vorschlag wurde teils in kurzen und in zahlreichen längeren Gesprächen vom ARD-Studio Brüssel, Redaktionsleitungen großer deutscher Medienhäuser sowie der New York Times ebenso interessiert und positiv aufgenommen wie vom Präsidenten der Bundesakademie für Sicherheitspolitik und der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses des EU-Parlaments, Agnes Strack-Zimmermann, die diesen Vorschlag während der MSC in ein Interview mit dem Morgenmagazin einbrachte.

Auch mit Parlamentarier*innen aus Polen, Kanada, Deutschland, den Niederlanden, Estland und der Ukraine sowie deutschen Regierungsvertreter*innen und dem indischen Außenminister konnten wir in München zu diesem Vorschlag Kontakte knüpfen, hunderten Sicherheitspolitiker*innen, Think Tanks, Expert*innen sowie Medienvertreter*innen konnten wir unseren Vorschlag schriftlich vermitteln.

Frankreichs Präsident Macron brachte diese Lösung nach der MSC ebenso ins Gespräch wie ein Artikel des Handelsblatts, der unsere Initiative „Sicherheit neu denken“ zitiert. US-Verteidigungsminister Hegseth hat beim Ukraine-Treffen in Ramstein ebenfalls von „fähigen europäischen und nicht-europäischen Truppen“ zur Absicherung einer Friedenslösung in der Ukraine gesprochen. 

2. Sicherheit neu denken im Mittleren und Nahen Osten: Eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit

Unseren Vorschlag, im Nahen und Mittleren Osten / Westasien beständig eine ähnlich konstruktive Austausch-Plattform wie die Münchner Sicherheitskonferenz und die langjährige Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) einzurichten (siehe Positiv-Szenerio, S. 8), hat u.a. der Außenminister Bahrains sehr positiv und interessiert aufgenommen. Freilich braucht es für diesen Weg sicher noch beständige und viel weitergehende Lobbyarbeit.

3. Sicherheit neu denken in Afrika: Die neue Bundesregierung kann und muss nachhaltig zivile und kirchliche Sicherheitsakteur*innen unterstützen

In zahlreichen Veranstaltungen der MSC wurden die anhaltenden Sicherheitsprobleme in Afrika beklagt – regelmäßig ohne Antworten auf die Frage, wie die seit Jahrzehnten anhaltende Frustrierung der dortigen Bevölkerungen überwunden werden könnte. Frustriert sind die Bevölkerungen sowohl von bisher demokratisch gewählten Regierungen, die ihre Bedürfnisse regelmäßig aufgrund zu enger Bindungen an ehemalige Kolonialmächte ebenso wenig befriedigt haben wie aktuelle Militärregime (siehe Positivszenario, S. 9).

So zeigten die Hanns Seidel Stiftung (HSS) and die Globale Initiative gegen Transnationale Organisierte Kriminalität (GI-TOC) in der Vorstellung einer aktuellen Studie die Verbreitung und destabilisierende Wirkung der russischen Wagner-Gruppe (jetzt Africa Corps genannt) in zahlreichen Ländern Afrikas auf. Auch der bisher insgesamt destruktive Beitrag Frankreichs zum Aufbau nachhaltiger Sicherheit in dessen ehemaligen Kolonialstaaten wurde deutlich benannt.

Logos von „gewaltfrei MSC verändern“, „Sicherheit neu denken“ und „Réseau Repenser la Sécurité en Afrique“.
Logos von „gewaltfrei MSC verändern“, „Sicherheit neu denken“ und „Réseau Repenser la Sécurité en Afrique“.

Eine Veranstaltung unserer Initiative in Zusammenarbeit mit der Projektgruppe „Münchner Sicherheitskonferenz verändern“ (MSKv) stellte die beeindruckende, nachhaltig-systemische Wirkung kirchlicher und ziviler Sicherheitsakteur*innen in zahlreichen afrikanischen Ländern vor, die Anlass zu großer Hoffnung geben.

Die Projektgruppe MSKv führt seit über 20 Jahren einen kritischen Dialog mit der MSC zu deren friedenslogischen Weiterentwicklung und kooperiert für dieses Ziel mit unserer Initiative Sicherheit neu denken in Deutschland und Afrika.

Unter dem Titel „Auf dem Weg in ein Jahrhundert der Toleranz: Nicht schießen!
Gewaltfreie Deeskalation und Friedenspraxis des Globalen Südens“ waren eingeladen:

Marie-Noelle Koyara, Bangui/Zentralafrikanische Republik, die ehemalige Verteidigungsministerin (2015-2022) und heutige Vorsitzende des afrikanischen Netzwerks und der politischen Kampagne „Rethinking African Security“ (RAS) sprach über den Nationalen Dialog zur von Terrorgruppen in der Zentralafrikanischen Republik. Als Verteidigungsministerin führte sie eine gemeinwesenorientierte Polizeiarbeit ein und verbesserte so die Akzeptanz der Sicherheitsorgane; zudem förderte sie interreligiöse Versöhnungskomitees;

Erzbischof Martin Kivuva Musonde, Mombasa/Kenia, berichtete von Strategien zur Vermeidung ethnisch-politischer Straßengewalt nach der rechtmäßigen Abwahl des Staatspräsidenten;

Dr. Sylvain Koffi, Abidjan/Elfenbeinküste: der internationale Berater für Sozial- und Friedensprogramme ist Gründungsmitglied der panafrikanischen Union der Friedensfachkräfte und Generalsekretär des afrikanischen Netzwerks und der politischen Kampagne „Rethinking African Security“ (RAS).

Hubert Heindl, Direktor der APTE Friedensagentur und Co-Gründer der Afrikanischen Friedensuniversität.

Die MSC-Teilnehmenden aus internationaler Diplomatie, Politik, Wirtschaft und Militär, Instituten und Think Tanks sowie der Zivilgesellschaft waren eingeladen, sich mit der gelingenden Praxis unserer Gäste auseinanderzusetzen. Sie konnten lernen, wie auch in ihrem Verantwortungsbereich durch Empathie, Heilung und aktive Gewaltfreiheit Konfliktlösung und Deeskalation erprobt werden können und humane, menschliche Sicherheit gelingt.

Es wurde klar, wie wichtig es ist, der neuen Bundesregierung die Bedeutung dieser kirchlichen und zivilen Sicherheits-Akteur*innen in Afrika als strategische Alternative bekannt zu machen; und wie wichtig es ist, eine nachhaltige Unterstützung ihrer Arbeit einzuwerben. Dazu haben sich inzwischen zahlreiche dieser Akteur*innen in der Initiative „Sicherheit neu denken in Afrika“ (Rethinking African Security, RAS) zusammengeschlossen [weitere Informationen zu der afrikanischen Initiative auf der Homepage von Sicherheit neu denken).

Feierabend: Die Protagonist*innen der Veranstaltung und der Initiative „Sicherheit in Afrika neu denken“ (Rethinking African Security,RAS), von links nach rechts Markus Brunnhuber (MSKv), der Erzbischof der Diözese Mombasa, Kenia, Martin Kivuva; Ruth Aigner (MSKv), Dunja Müller (MSKv), Marie-Noelle Koyara, Koordinatorin von RAS und ehemalige Vertei-digungsministerin der Zentralafrikanischen Republik, Alessia Neuner (MSKv), Christina Brandl-Bommer (Versöhnungsbund), Hubert Heindl (MSKv), Ralf Becker (SND), Clemens Ronnefeldt (Versöhnungsbund) (Foto: Dunja Müller)

4. Lesenswerter MSC-Bericht zur weltweiten Multipolarisierung

Der im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz veröffentlichte Bericht „Multipolarization“ beschreibt in seiner Differenziertheit lesenswert die aktuelle Gleichzeitigkeit von Uni-, Bi- und Multipolarität  in der Welt aus Sicht der großen Player inklusive führender BRICS-Staaten (siehe securityconference.org/publikationen/munich-security-report-2025).

Als Initiative „Sicherheit neu denken“ sprechen wir in dem Zusammenhang von Multilateralität, da dieser Begriff ein stärkeres Zusammenwirken verschiedener Weltregionen umfasst als der Begriff (Multi-)Polarität.

Inhaltsübersicht:

  1. Einführung: Multipolarisierung
  2. USA: Maga Carta
  3. China: Auf dem Weg zu Platz eins
  4. Europäische Union: Ein perfekter Polarsturm
  5. Russland: Das Gambit des Zaren
  6. Indien: Modi-fizierter Status
  7. Japan: Die neue Normalität
  8. Brasilien: Lula-Land
  9. Südafrika: Das Schicksal der Guten Hoffnung

 Der Bericht zeigt anschaulich auf, dass sich alle BRICS-Staaten positiv auf das Völkerrecht beziehen – und wie u.a. Indien, Brasilien und Südafrika durchaus anders auf die Auseinandersetzung zwischen Demokratien und Autokratien schauen als Russland und China.

Europa könnte der imperialen Politik der USA und Russlands gemeinsam mit Staaten des Globalen Südens wirkungsvoll entgegenwirken. „Multipolarisierung“ ergänzt insofern die im Positiv-Szenario „Europas Rolle für den Frieden in der Welt“ der Initiative „Sicherheit neu denken“ formulierten Ansätze. Es findet sich unmittelbar auf der Homepage der Initiative

Über den Autor

Ralf Becker ist Koordinator der europäisch-afrikanischen Initiative „Sicherheit neu denken“ und hat im Auftrag der Projektgruppe MSKv als Beobachter an der Münchner Sicherheitskonferenz 2025 teilgenommen.

Nach oben scrollen