Von der Redaktion
Das Christentum war vom Beginn an bis ins 4. Jahrhundert von einer zutiefst pazifistischen Haltung geprägt. Die offizielle Position der Kirche war die der Gewaltlosigkeit: Für Christen kam es selbstverständlich nicht in Frage, Soldat zu werden. Die Konstantinische Wende im Jahr 313 änderte dies grundlegend. Der Soldatenkaiser Konstantin erhob das Christentum zur Staatsreligion des Römischen Reiches. Bald danach führte Augustinus die „Lehre vom gerechten Krieg“ in die Kirche ein.
„Pazifismus und Kriegsdienstverweigerung in der frühen Kirche“: Historische Zeugnisse hiervon hat Thomas Gerhards erstmals 1984 in dieser Quellensammlung veröffentlicht. Er bringt die frühchristlichen Kriegsdienstverweigerer und theologischen Schriftsteller in einen Dialog, bei dem sich die Unvereinbarkeit von Christsein und Kriegshandwerk in dieser Zeit deutlich zeigt, Kriegsdienstverweigerung galt theologisch als selbstverständlich. Gegenteilige Voten sind nicht bekannt. Die frühe Kirche suchte, die gewaltfreie Friedensbotschaft des Jesus von Nazareth zu leben, im Sinne einer „neuen Menschheit, die das zerstörerische ‚Zivilisationsprogramm Krieg‘ überwindet“, so schreibt es Peter Bürger im Vorwort zur vorliegenden digitalen Neuauflage.
Der wohl bekannteste Kriegsdienstverweigerer der Quellensammlung ist „Sankt Martin“, Bischof Martin von Tours. Die Geschichten über ihn werden dokumentiert und historisch-kritisch kommentiert. Als er noch Soldat war, teilte er seinen Mantel mit dem Schwert und gab die eine Hälfte einem Armen vor den Toren von Amiens. Öffentlich heute meist verschwiegen wird seine Kriegsdienstverweigerung und sein mutiger Einsatz für den Frieden: Im Jahr 356 verweigert er in Worms am Rhein öffentlich gegenüber Kaiser Julian den Kriegsdienst und erklärt sich bereit, am Tag der bevorstehenden Schlacht mit den Alemannen dem Feind ohne Waffen entgegenzutreten. Bereits am nächsten Tag kommt es jedoch zu Friedensverhandlungen und der inhaftierte Martin wird angesichts der unerwarteten Ereignisse begnadigt und aus der Armee entlassen. Später wird er von den Bewohner*innen von Tours gegen seinen Willen zum Bischof gewählt. Im Dienst dieses Amtes lebt er nicht in der Stadt, sondern mit den Armen zusammen in den Außenbezirken.
Thomas Gerhards dokumentiert, wie bereits damals über die Kraft der aktiven Gewaltfreiheit nachgedacht wurde. Tertullian, Origenes und Lactanz entwickelten unter dem Begriff patientia, „Geduld“, eine Lehre der positiven Gewaltlosigkeit. Damit war keineswegs passives Hinnehmen, sondern aktives Handeln gemeint. Die Kraft aktiver „Geduld“ ist nah an dem, wovon Mohandas K. Gandhi, Oscar Romero, Hildegard Goss-Mayr und Martin Luther King in anderen Begrifflichkeiten sprechen.
"Non possum militare, Chstianus sum! - Ich kann kein Soldat sein, ich bin ein Christ!"
Thomas Gerhards ermöglicht einen fundierten Einblick in die zu frühkirchlicher Zeit verbreitete Haltung zu Krieg und Kriegsdienst – die in kirchengeschichtlichen Lehrbüchern wenig Beachtung findet. Er geht dabei den Fragen nach:
Wie kommt es, dass Christen, denen Jesus die völlige Gewaltlosigkeit vorlebte und die Liebe in das Zentrum seiner Botschaft stellte, nicht klarer gegen das immer erschreckendere Wettrüsten Stellung beziehen? Müsste die Kirche die Haltung Jesu nicht deutlicher herausstellen? Ist die Kriegsdienstverweigerung angesichts der heutigen Situation für Christ*innen nicht eine notwendige Konsequenz?
Der Schreiner, Dipl.-Theologe und Sozialwissenschaftler Thomas Gerhards (Jg. 1959) hat in Bonn und Würzburg studiert und kann auf langjährige berufliche Tätigkeiten u.a. in der Erwachsenenbildung und der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit zurückblicken. Gegenwärtig engagiert er sich besonders bei Protesten am Atomwaffenstandort Büchel und in dem dort regelmäßig zusammenkommenden Kreis des Friedensgebets.
Hier folgen zwei Auszüge aus „Pazifismus und Kriegsdienstverweigerung in der frühen Kirche“.
Der Hl. Maximilianus (274-295 n.Chr.)
Als Tuscus und Anulinus Konsuln waren, wurde am 12. März Fabius Viktor zusammen mit Maximilian auf den Marktplatz von Tebessa [im heutigen Algerien, d. Red.] geführt. Der hinzugezogene Rechtsbeistand Pompeianus begann folgendermaßen:
„Fabius Viktor ist Temonarius [* Eintreiber der Rekrutengelder, d. h. röm. Soldat *], aufgestellt von Valesian Quintian, dem kaiserlichen Offizier. Ich beantrage, dass Maximilian, Sohn des Viktor als guter Rekrut, da er tauglich ist, gemessen werde.“
Dion, der Prokonsul, sprach: „Wie wirst du genannt?“
Maximilian antwortet: „Weshalb willst du meinen Namen wissen? Mir ist es nicht erlaubt, Kriegsdienst zu leisten, weil ich Christ bin.“
Aber Dion sagt: „Stellt ihn ans Maß!“
Und als dies geschah, wiederholt Maximilian: „Ich kann keinen Kriegsdienst leisten, ich kann nichts Übles tun, ich bin Christ.“
Da befiehlt Dion: „Er soll gemessen werden!“
Und als er gemessen war, sagt der Diensthabende: „Er ist fünf Fuß und zehn Zoll groß.“ [Das sind 1,78 m, d.Red.]
Dion beauftragt den Offizier: „Er soll mit dem Kennzeichen versehen werden!“ [Dies ist ein bleiernes Halsband, das die angeworbenen Soldaten tragen mussten.]
Und Maximilian wehrt sich und antwortet: „Ich mache es nicht, denn ich kann keinen Kriegsdienst leisten.“
Dion erwidert: „Sei Soldat, damit du nicht zugrunde gehst!“
Maximilian: „Ich leiste keinen Kriegsdienst. Schlag mir den Kopf ab, ich bin kein Soldat der Welt, sondern ich bin ein Soldat meines Gottes.“
Dion sagt: „Wer hat dich davon überzeugt?“
Maximilian antwortet: „Mein Gewissen und der, der mich gerufen hat.“
Dion wendet sich an dessen Vater Viktor: „Berate deinen Sohn!“
Viktor entgegnet: „Er weiß selbst, was er tut. Er hat seine eigene Überzeugung, was für ihn förderlich ist.“
Dion zu Maximilian: „Sei Soldat und nehme das Kennzeichen an!“
Der erwidert: „Ich nehme das Zeichen nicht an. Ich habe nämlich das Zeichen Christi, meines Gottes.“
Dion: „Sofort schicke ich dich zu deinem Christus!“
Maximilian: „Ich wollte, dass du es tätest! Und dies ist mein Lob.“
Dion befahl dem Offizier: „Er soll bezeichnet werden!“
Maximilian sträubt sich und sagt: „Ich nehme das Zeichen der Welt nicht an, und wenn du mir das Zeichen dennoch anlegst, so werde ich es zerbrechen, denn es gilt nicht. Ich bin Christ! Es ist mir nicht erlaubt, das Blei am Hals zu tragen, wo ich das Zeichen meines Herrn Jesus Christus ehre, des Sohnes des lebendigen Gottes, welchen du nicht kennst, der gestorben ist für unser Heil, den Gott dahingegeben hat für unsere Sünden. Diesem dienen alle Christen, ihm folgen wir, dem Urheber des Lebens, dem Begründer des Heils.“
Dion darauf: „Sei Soldat und nehme das Zeichen, damit du nicht elend stirbst!“
Maximilian antwortete: „Ich gehe nicht zugrunde. Schon ist meine Seele bei meinem Herrn. Ich kann keinen Kriegsdienst leisten!“
Dion: „Bedenke deine Jugend und werde Soldat! Dies nämlich geziemt sich für den Jüngling!“
Maximilian: „Mein Dienst ist bei meinem Herrn. Ich kann in der Welt nicht Soldat sein. Ich sagte ja schon, ich bin Christ!“
Da sagt Dion: „Im heiligen Gefolge unserer Herrn Diokletian und Maximianus sind tapfere und bedeutende Soldaten Christen, und sie leisten Kriegsdienst!“
Maximilian darauf: „Sie wissen selbst, was ihnen förderlich ist. Ich bin dennoch Christ und kann nichts Schlechtes tun!“
Dion: „Die Kriegsdienst leisten, was machen die Böses?“
Maximilian: „Du weißt doch, was sie tun!“
Dion: „Sei Soldat, verachte den Kriegsdienst nicht, du fängst an, übel zugrunde zu gehen.“
Maximilian antwortet: „Ich gehe nicht zugrunde. Wenn ich aber aus der Welt gegangen bin, lebt meine Seele zusammen mit Christus, meinem Herrn.“
Dion befahl: „Schlagt ihn nieder!“ Und als er niedergehauen war, sprach Dion: „Weil du dich mit unehrerbietigem Geist dem Kriegsdienst widersetzt hast, ist es angemessen, dass du als Exempel für die anderen verurteilt wirst.“ Und er verlas das Urteil aus der Tafel: „Weil Maximilian unehrerbietigen Geistes den Fahneneid des Soldaten zurückwies [also den Kriegsdienst verweigerte], ist es angemessen, dass er mit dem Schwert hingerichtet werde.“
Maximilian sprach: „Gelobt sei Gott!“
Er war einundzwanzig Jahre, drei Monate und achtzehn Tage alt. Als er zu dem Richtplatz geführt wurde, da sprach er so:
„Geliebte Brüder: Wie groß auch immer eure Kraft sein mag, eilt mit sehnlichstem Verlangen, dass euch der Anblick des Herrn zuteil wird. Verhaltet euch so, dass euch die höchste Belohnung [d.i. die Märtyrerkrone] zukommen wird.“ Und mit froher Miene sagte er noch zu seinem Vater: „Gib diesem Scharfrichter das neue Gewand, welches du mir zum Militärdienst vorbereitet hast. So unterstütze ich dich mit hundertfacher Zahl und ähnlich werden wir mit dem Herrn gerühmt.“ Und so ist er bald darauf verschieden.
Später hat die ehrwürdige Frau Pompeiana seinen Körper mit richterlicher Genehmigung ausgegraben und in ihre vorbereitete Ruhestätte nahe Karthago überführt und unter einem Hügel neben dem Märtyrer Cyprian [Bischof von Karthago] beigesetzt. Und nach dreizehn Tagen ist dieselbe Frau auch verschieden und dort begraben worden. Sein Vater Viktor kehrte mit großer Freude in sein Haus zurück, dankte Gott, weil er dem Herrn solche Gnade vorausschickte und folgte diesem bald nach.
Der Hl. Marcellus
Zu dem hineingeführten Centurio Marcellus sagte der Statthalter Anastasius Fortunatus: „Was ist in dich gefahren, dass du entgegen der Gehorsamspflicht des Soldatenstandes die Waffen niederlegst und Degengurt und Centurionenstab fortgeworfen hast?“
Marcellus antwortete: „Schon am 12. August habe ich vor den Feldzeichen dieser Legion, als ihr das Fest eures Kaisers feiertet, in aller Öffentlichkeit mit lauter Stimmer erklärt, dass ich Christ bin und keinen Kriegsdienst leisten kann (oder: meinen Diensteid nicht halten kann), sondern nur Jesus gehorche.“
Der Statthalter Anastasius Fortunatus sagte: „Die Unbesonnenheit kann ich nicht übergehen, und daher übergebe ich diese Sache dem Vorgesetzten Aurelius Agricolanus, dem Stellvertreter des Provinzstatthalters. Caecilius soll dich von Amts wegen begleiten.“
Am 3. November wurde in Tanger [im heutigen Marokko, d. Red.] Marcellus, ein Centurio des Anastasius, vorgeführt. Vom Diensthabenden wurde gesagt: „Marcellus, ein Centurio des Statthalters Fortunatus, wird deiner Gewalt übergeben. Es liegt ein Brief in dieser Angelegenheit vor, den ich, wenn du es befiehlst, vorlesen werde.“
Agricolanus befahl: „Vorlesen!“
Der Gerichtsbeamte begann: „Für dich, o Herr, von Fortunatus usw ….“
Als der Brief vorgelesen war, sprach Agricolanus: „Hast du das gesagt, was in den Akten des Statthalters steht?“
Marcellus antwortete: „Ich habe es gesagt.“
Agricolanus sagte: „Warst du Soldat als gewöhnlicher Centurio?“
Marcellus: „Ich war Soldat!“
Agricolanus: „Welche Verblendung hat dich dazu getrieben, die militärischen Abzeichen wegzuwerfen und derart zu reden?“
Marcellus: „Es gibt keine Verblendung bei denen, die den Herrn fürchten.“
Agricolanus: „Hast du nur das gesagt, was in den Akten des Statthalters niedergelegt ist?“
Marcellus: „Ich habe es gesagt.“
Agricolanus: „Hast du die Waffen fortgeworfen?
Marcellus: „Ich habe sie fortgeworfen. Es ziemt sich nämlich nicht, dass ein Christ Soldat der Armee dieser Welt sei, da er doch Soldat des Herrn Christus ist.“
Agricolanus: „Die Taten des Marcellus sind derart, dass diese Art von Gehorsam bestraft zu werden verdient. Und so soll Marcellus, der als gewöhnlicher Centurio diente, mit dem Schwert hingerichtet werden. Er hat öffentlich den Diensteid (Kriegsdienst) verweigert, weil er sich [sonst] verunreinige, so sagt er. Darüber hinaus hat er – siehe die Akten des Statthalters – viele verblendete Worte gesprochen.“
Und als er zur Hinrichtung geführt wurde, sagte Marcellus so: „Agricolanus, Gott möge dir Gutes tun!“
So verließ Marcellus die Welt als ehrenvoller Märtyrer.
Die Neuauflage

Peter Bürger hat die Neuauflage in Kooperation mit dem Internationalen Versöhnungsbund / deutscher Zweig, dem Lebenshaus Schwäbische Alb, dem Ökumenischen Institut für Friedenstheologie und der Solidarischen Kirche im Rheinland herausgegeben. Sie kann kostengünstig für 6,99 € als Taschenbuch bestellt werden (https://buchshop.bod.de/pazifismus-und-kriegsdienstverweigerung-in-der-fruehen-kirche-thomas-gerhards-9783769321081) oder digital unter diesem Link (https://www.lebenshaus-alb.de/magazin/media/pdf/GERHARDS_digital.pdf) als pdf-Datei kostenlos aufgerufen werden.
Thomas Gerhards: Pazifismus und Kriegsdienstverweigerung in der frühen Kirche. Eine Quellensammlung. Mit einer Einleitung von Konrad Lübbert [damals Vorstandsmitglied des Versöhungsbunds, d. Red.]. – Neuedition der sechsten, überarbeiteten Auflage von 1991 (edition pace ǀ Regal: Pazifismus der frühen Kirche 2). Norderstedt: BoD 2024. ISBN 978-3-7693-2108-1.