Jubiläumstreffen von Sicherheit neu denken in Bad Kreuznach: Plädoyer für eine kommunale Friedenspolitik

Die Initiative Sicherheit neu denken feiert Ende November 2025 in der Friedensstadt Bad Kreuznach ihren 10. Geburtstag. Markus Bach, ZDF-Nachrichtenredakteur und Friedensaktivist aus Bad Kreuznach, reflektiert über historische Versöhnungstreffen in der Stadt an der Nahe und darüber, wie eine Kommunale Friedenspolitik die Friedensbewegung voranbringen könnte.
Gedenkstein für das Treffen von Adenauer und De Gaulle 1958 in Bad Kreuznach
Gedenkstein für das Treffen von Adenauer und De Gaulle 1958 in Bad Kreuznach (Foto: Alois Bauer)

Von Markus Bach M.A.

Die bundesweite Friedensinitiative „Sicherheit neu denken“ (SND) richtet ihre Zehn-Jahres-Jubiläumskonferenz vom 28. bis 30. November 2025 mit etwa 90 Friedensfachleuten aus mehreren Ländern auf der Ebernburg in der Friedensstadt Bad Kreuznach aus. Die im Jahr 2015 in der Evangelischen Kirche in Baden ins Leben gerufene Friedensinitiative hat ihre Jubiläumstagung ganz bewusst in die rheinland-pfälzische Friedensstadt an der Nahe gelegt, weil sie mit dieser Standortwahl an die große Bedeutung Bad Kreuznachs für die deutsch-französische Aussöhnung anknüpfen möchte.

Denn am 26. November 1958 trafen sich im Bad Kreuznacher Kurhaus der französische Premier und spätere Staatspräsident Charles de Gaulle und Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) zur ersten offiziellen Regierungskonferenz der jahrhundertelangen „Erbfeinde“ Deutschland und Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg. Auch das Datum der SND-Friedenskonferenz auf der Ebernburg (28.-30.11.2025) erinnert mit seiner Nähe zum historischen Datum des dt.-frz. Treffens  (26.11.1958) bewusst an den Geist der deutsch-französischen Versöhnung vor 67 Jahren in Bad Kreuznach.  

Beim Friedenstreffen von Sicherheit neu denken auf der Bad Kreuznacher Ebernburg feiern Vertreter*innen aus mehreren Ländern und natürlich auch aus Frankreich mit den deutschen Gastgeber*innen zehn Jahre „Sicherheit neu denken“ und werden sich sicherlich wie Charles de Gaulle und Konrad Adenauer 1958 im Bad Kreuznacher Kurhaus fragen: Was können wir anstoßen für den Frieden und wie wird man in zwanzig, dreißig Jahren über unser Treffen in Bad Kreuznach denken?

Was verbindet also das Treffen von Adenauer und de Gaulle 1958 in Bad Kreuznach mit dem internationalen Friedenstreffen von Sicherheit neu denken im Jahr 2025 in der Friedensstadt an der Nahe? Schritt für Schritt gehen wir auf die Spurensuche, was die beiden Ereignisse verbindet und welche positiven Nebenwirkungen für die Friedensbewegung daraus entstehen können.

Adenauer und de Gaulle

Eines sollte klar sein: Adenauer und de Gaulle trafen sich in Bad Kreuznach nicht, um Abrüstung oder gar Konzepten gewaltfreier Verteidigung das Wort zu reden, wie sie Sicherheit neu denken seit seiner Gründung immer wieder in die sicherheitspolitische Debatte einbringt. Den beiden Regierungschefs ging es stattdessen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem damit verbundenen Untergang des barbarischen Hitlerfaschismus um eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur – mit militärischen Mitteln.

Ein Streitpunkt zwischen Frankreich und Deutschland war die Frage, ob die geplante gemeinsame neue Sicherheitsarchitektur stärker an die USA (Adenauer-Position) oder an Frankreich (de-Gaulle-Position) angedockt sein sollte. Da spielte der mutmaßliche atomare Schutzschirm der USA und Frankreichs für das westlich orientierte Nachkriegs-Europa eine entscheidende Rolle. Eine autonome europäische Sicherheitsarchitektur unter französischer Führung war nach dem Zweiten Weltkrieg aber schon in den 1950er Jahren aus dem Rennen; die USA und ihre Vorherrschaft in der Nato setzten sich schnell und machtvoll durch. Sie gaben von nun an den Ton an.

Und doch oder vielleicht gar wegen der machtpolitisch durchgesetzten US-Dominanz in der Sicherheitspolitik: Die in Bad Kreuznach grundgelegte politische Dimension der deutsch-französischen Versöhnung zwischen Adenauer und de Gaulle mündete im deutsch-französischen Vertrag von 1963, den wiederum de Gaulle und Adenauer als Krönung ihrer Versöhnungsarbeit in Paris unterzeichneten. Mit keinem anderen Staat der Erde haben beide Länder seitdem engere Beziehungen als eben miteinander.

In dem Freundschaftsvertrag wurden regelmäßige dt.-frz. Regierungskonsultationen festgelegt, mit denen man dem Vorbild des ersten offiziellen Regierungstreffens in Bad Kreuznach folgte. Festgelegt wurde auch eine breit gefächerte Struktur der Zusammenarbeit, die auch das dt.-frz. Jugendwerk ins Leben rief.

Es entstand also eine Struktur, die die Versöhnung zwischen diesen beiden jahrhundertelangen Erzfeinden mit Leben füllte, ihr konkrete Räume für Versöhnung im Alltag schuf. Zu dieser Versöhnungsstruktur, zu diesen Räumen der versöhnten Kooperation zwischen Frankreich und Deutschland gehört aber auch die militärische Zusammenarbeit.

Sie mündete schließlich viele Jahre später auch in der Schaffung einer gemeinsamen dt.-frz. Brigade. Diese Brigade ist ein revolutionärer Schritt für Frankreich. Frankreich reicht mit dieser gemeinsamen Brigade seinem Nachbarn Deutschland auch militärisch die Hand, dem Nachbarn, der es unter Hitlers Faschismus brutal überfallen, Millionen Französinnen und Franzosen im Zweiten Weltkrieg ermordet und es vor aller Welt gedemütigt hatte.

Die dt.-frz. Versöhnung, politisch grundgelegt am 26.11.1958 in Bad Kreuznach und menschlich vorbereitet zwischen de Gaulle und Adenauer in de Gaulles Privathaus in Colombey-les-Deux-Eglises am 14. September 1958, hat also eine feste Struktur und Räume erhalten, um als Versöhnungsauftrag immer wieder im Alltag erneuert werden zu können. Mehr dazu auch in der arte-ZDF-Produktion An einem Tag im September. Der Historienfilm erzählt die durch Kriegserlebnisse belastete Begegnung zur Überwindung jahrhundertelanger Feindseligkeiten historisch fundiert und dramaturgisch packend nach.

Was können die deutsche und die europäische Friedensbewegung aus dieser Versöhnungsgeschichte lernen?

Die Annäherung zwischen Deutschland und Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg war zumindest in Deutschland kaum umstritten. Das zeigen auch die Jubelbilder, die de Gaulle bei seinem Besuch in Deutschland  (1962) seit dem Treffen in Bad Kreuznach (1958) genießen konnte. Hingegen war die mit der Aussöhnung inhaltlich, aber nicht zeitlich verbundene Wiederbewaffnung Deutschlands (1955) und seine Einbettung in die Nato (1955) stets von Protesten einer sich auch neu formierenden deutschen Friedensbewegung begleitet. Ihren Höhepunkt erreichte die Friedensbewegung in den frühen 1980er Jahren mit der hunderttausendfachen Absage an die Nato-Nachrüstung auf den Straßen in Deutschland. Dieser Protest ist ein Meilenstein im anti-militaristischen Aufbegehren, das es so lautstark und öffentlich in Deutschland noch nie gegeben hatte. Die Entstehung von Sicherheit neu denken in der evangelischen Kirche mehr als 30 Jahre nach den großen Protesten gegen die Nato-Nachrüstung ist auch eine großartige Langzeitwirkung dieser Friedens-Rebellion in den frühen 1980er Jahren.

Doch vier Jahrzehnte nach der Friedens-Rebellion auf deutschen Straßen liegt die deutsche Friedensbewegung  am Boden. Nach dem völkerrechtswidrigen Überfall Russlands auf die Ukraine am 24.2.2022 und der daraufhin von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ausgerufenen „Zeitenwende“ schlug sich ein Großteil der stark pazifistisch orientierten Friedensbewegung auf die Seite derer, die mit aller Gewalt die Ukraine militärisch gegen Russland unterstützen wollen, damit sie den Krieg gegen Russland gewinnt.

Der verstorbene CDU-Generalsekretär Heiner Geißler verglich 1983 den deutschen Pazifismus gegen die Nato-Nachrüstung mit dem deutschen Pazifismus in den 1930er Jahren, was in seinem Vorwurf mündete, der Pazifismus damals habe Auschwitz erst möglich gemacht. Auf dieser Linie werden Pazifist*innen heute als „Putin-Versteher*innen“  gescholten, die dem verbrecherischen Angreifer aus dem Kreml die Stange hielten und so den völkerrechtswidrigen Überfall und damit den tausendfachen Tod unschuldiger Opfer noch legitimierten.

Warum ist es so weit gekommen, dass sogar die   auch aus dem deutschen Pazifismus  entstandenen Grünen seit dem Ukraine-Krieg Pazifist*innen ins gesellschaftliche Abseits stellen und selbst nun das scharfe Schwert militärischer Verteidigung der Ukraine gegen Russland ins Feld führen? Und welche Folgen zeitigen diese enormen Verschiebungen der sicherheitspolitischen Koordinaten in Deutschland für die Friedensbewegung und damit natürlich auch für Sicherheit neu denken?

Friedensräume schaffen

Zehn Jahre nach seiner Gründung feiert Sicherheit neu denken nämlich nicht nur seinen runden Geburtstag auf der Ebernburg, sondern lässt bei nahezu allen Foren und Diskussionsrunden des hiesigen Aktiventreffens in den Überschriften die Frage aufscheinen: Mit welchen Reformen bringen wir den Pazifismus in Deutschland wieder aus der Defensive und damit in die Mitte der gesellschaftlichen Debatten zurück?

Meine These lautet: Es fehlt dem Pazifismus anders als der gesellschaftlich viel wirkmächtigeren Öko-Bewegung an einer Struktur für den Alltag und an Räumen, in denen er alltagsrelevant wirken kann. Erst wenn diese Räume geschaffen sind, wird sich die Friedensbewegung wieder zu einer primär pazifistischen Bewegung entwickeln und erst dann auch wieder verstärkt Zulauf erhalten. Salopp gefragt: Wie sehen also die pazifistischen Windräder und Solarmodule der Friedensbewegung aus, die sich für die Menschen vor Ort auch finanziell rechnen?

In der Friedensstadt Bad Kreuznach arbeite ich seit dem Jahr 2021 gemeinsam mit anderen friedensbewegten Menschen daran, Strukturen und Räume für die Friedenspolitik vor Ort zu schaffen. Es geht darum, aus dem Vorbild der Versöhnungsstruktur von Adenauer und de Gaulle, die in Bad Kreuznach grundgelegt wurde, eine Friedensarchitektur zu entwickeln und in dieser Form auch dem Erfolg der Öko-Bewegung auf dem Feld der Energiewende nachzueifern.

Dieser Vorgang ist in gewisser Weise eine paradoxe Annäherung der lokalen Friedensbewegung an das Vorbild von Adenauer und de Gaulle. Denn diese beiden Staatenlenker verbanden ihre Versöhnungsstruktur mit dem Aufbau einer militärischen Sicherheitsstruktur durch die Nato und das mutmaßlich atomare Schutzschild für Europa.

Die pazifistische Friedensstruktur, wie ich sie mir vorstelle und wie sie Sicherheit neu denken an vielen Stellen in den vergangenen Jahren in seinen sicherheitspolitischen Szenarien formuliert hat, setzt auf den Primat der Gewaltfreiheit. Ich bin der Überzeugung, dass diese friedenspolitische Sicherheitsarchitektur anders als die auf Befehl und Gehorsam aufgebaute, zentralistische militärische Sicherheitsstruktur nur von unten entstehen kann. Denn so wie sich die Anlagen für Erneuerbare Energien von unten entwickelten, so muss dies auch beim Aufbau der neuen pazifistischen Sicherheitsstruktur von der Basis aus geschehen – eben in den verschiedenen Städten und Gemeinden mit ihren jeweiligen lokalen Anknüpfungspunkten für Friedenspolitik.

Friedensstadt Bad Kreuznach als Beispiel

Hier nun eine Übersicht der Projekte, die ich vor diesem Hintergrund mit vielen friedensbewegten Menschen u.a. in drei Zukunftswerkstätten „Frieden“ (2021 bis 2023)  in und  für die Friedensstadt Bad Kreuznach erarbeitet und danach weiterentwickelt habe.

Es geht mir nun nicht darum, dass diese Bad Kreuznacher Vorschläge für eine pazifistische Friedensarchitektur in anderen Städten 1 : 1 übertragen werden; sondern darum, dass sie Beispiele für eine lokale Friedenspolitik darstellen. In anderen Städten und Gemeinden gibt es sicherlich andere Anknüpfungspunkte aus der Geschichte und der Gegenwart, an denen entlang Räume und Strukturen für eine pazifistische Sicherheitsstruktur entwickelt werden können.

Die fünf Säulen des Szenarios von Sicherheit neu denken von 2018

Sicherheit neu denken könnte dabei in Zukunft zusätzlich zu seinen erfolgreichen Szenarios als Motor für eine Vernetzung dieser vielfältigen, lokalen Friedenspolitik dienen, die auf diese Weise auch das SND-5-Säulen-Modell (siehe folgende Grafik) von der Basis her abfedern, unterstützen und weiterentwickeln könnten.

Diese Friedensprojekte haben wir bisher in und für Bad Kreuznach entwickelt:

1. Deutsch-französischer Masterstudiengang für Friedens- und Konfliktforschung mit dem Schwerpunkt Gewaltfreiheit

Zum Aufbau einer lokalen Friedensstruktur und örtlichen Friedensräumen sollte als erstes in Bad Kreuznach ein deutsch-französischer Masterstudiengang für Friedens- und Konfliktforschung mit dem Schwerpunkt Gewaltfreiheit entstehen. Er wäre einerseits eine Würdigung der Versöhnungsleistung  von Adenauer und de Gaulle, die ihren regierungsamtlichen Anfang 1958 in Bad Kreuznach nahm. Andererseits wäre dieser deutsch-französische Masterstudiengang aber auch eine Weiterentwicklung des Denkens von de Gaulle und Adenauer, weil er eben keine militärischen Strukturen wie die der NATO als Konfliktlöserin anstrebt, sondern herausarbeiten soll, wie mit Gewaltfreiheit internationale und zwischenstaatliche Konflikte verhindert und – wenn sie bereits ausgebrochen sind – wieder beigelegt werden können.

Dieser deutsch-französischer Masterstudiengang könnte mithilfe der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz in Bad Kreuznach eingerichtet werden. Er wäre der erste seiner Art für diese beiden Länder und würde damit auch den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag um eine neue Komponente erweitern. Die Universität Mainz hat schon einige deutsch-französische  Studiengänge in ihrem Angebot und wäre damit die ideale Ausrichterin für einen solchen Friedensstudiengang in der Friedensstadt Bad Kreuznach.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat Anfang November 2025 bei seiner Bezirkskonferenz für Rheinland-Pfalz und Saarland in Mainz einen Antrag des DGB-Kreisverbands Bad Kreuznach angenommen, der die Einrichtung eines deutsch-französischen Masterstudiengangs für Friedens- und Konfliktforschung mit dem Schwerpunkt Gewaltfreiheit in Bad Kreuznach unterstützt. Diese DGB-Entscheidung ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Einrichtung eines solchen Friedensstudiengangs in der Friedensstadt Bad Kreuznach.

2. Akademie für Kommunale Konversion und Friedenspolitik in Bad Kreuznach

Unterstützung für lokale Friedensstrukturen und Friedensräume erhalten wir in Bad Kreuznach auch in anderer Hinsicht durch den Deutschen Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften.  Meine Forderung nach einer Ansiedlung einer Akademie für kommunale Konversion und Friedenspolitik (AKKF) in Bad Kreuznach wurde im Jahr 2021 von der DGB-Bezirkskonferenz Rheinland-Pfalz/Saarland mit der Annahme eines entsprechenden Antrags unterstützt.

Die Akademie für Kommunale Konversion und Friedenspolitik soll in Bad Kreuznach mehrere Aufgaben erfüllen:

  1. Sie soll eine umfassende Aufarbeitung der 50-jährigen Anwesenheit des US-Militärs in Bad Kreuznach leisten. Es wird nicht nur darum gehen, die US-Liegenschaften sowie die Zahl der US-Soldat*innen und ihrer Zivilbeschäftigte in Bad Kreuznach aufzulisten. Es soll vielmehr wissenschaftlich erarbeitet werden, wie die in Bad Kreuznach lebenden Menschen durch die US-Stationierung an ihren Arbeitsplätzen, als Unternehmen, bei der Familiengründung, bei der Ausübung religiöser und kultureller Riten, im Tourismus, beim Sport sowie in Kunst und Kultur durch die Anwesenheit des US-Militärs positiv wie negativ beeinflusst wurden.
  2. Die Akademie soll dieselben Lebensbereiche nach dem Abzug der US-Armee unter die Lupe nehmen und untersuchen, welche Wirkungen der Abzug der US-Armee nach 50 Jahren Anwesenheit auf diese einzelnen Lebenswelten hatte und bis heute hat.
  3. Aus diesen beiden wissenschaftlichen Studien, die fächerübergreifend angelegt sein sollen, soll ein Werkzeugkasten erarbeitet werden, der andere Kommunen in die Lage versetzt, Konversion vom militärischen zum zivilen Sektor erfolgreich durchzuführen und damit Mittel freizuschaufeln, die weltweit Armut bekämpfen sowie den Klimawandel in Schach halten bzw. stoppen können – beides extrem wichtige Felder, um Kriegsursachen zu verringern.
  4. Die AKKF soll alle zivilgesellschaftlichen Friedensbemühungen in Bad Kreuznach auflisten, erläutern und qualitativ einordnen. Als Beispiel seien das Ev. Ausländerpfarramt genannt, das über Jahrzehnte in Bad Kreuznach Flüchtlingshilfe und Integrationsarbeit leistete; ebenso soll die Arbeit der Städtepartnerschaften Bad Kreuznachs mit zwei französischen und zwei deutschen Städten hinsichtlich ihrer Friedenswirkung aufgearbeitet werden.

Die Akademie für Kommunale Konversion und Friedenspolitik ist natürlich auch eine friedensbewegte Antwort auf das US-dominierte Nato-Sicherheitsdenken, dem sich die beiden Versöhnungspolitiker de Gaulle und Adenauer in den 1950er Jahren mehr oder weniger begeistert unterworfen hatten. Die AKKF stand nach der 3. Bad Kreuznacher Zukunftskonferenz Frieden Anfang 2023 kurz vor ihrem Start. Wegen organisationsinterner Verschiebungen beim vorgesehenen akademischen Träger kam dieser Start dann aber erstmal nicht zu Stande.

Die AKKF soll durch ihre Gründung selbst wieder Studierende und Lehrende nach Bad Kreuznach ziehen und so Friedensstrukturen und Friedensräume in Bad Kreuznach schaffen, die die zuvor vorhandenen Liegenschaften und Soldat*innen der US-Armee ablösen. Friedensstruktur ersetzt auch hier Militärstruktur.

3. Konferenzkultur in der Friedensstadt Bad Kreuznach

Die Friedensstadt Bad Kreuznach sollte sich zu einer Friedenskonferenzstadt entwickeln. Im Jahr 2025 ist in dieser Hinsicht ein starker Anfang gemacht worden. Im September 2025 kam Pax-Christi-Rhein-Main zu seinem Regionaltag nach Bad Kreuznach, um zu erfahren, was sich an kommunaler Friedenspolitik in Bad Kreuznach in den vergangenen Jahren entwickelt hat.

Die Teilnehmer*innen des Regionaltags interessierten sich dafür, welche Aspekte der Bad Kreuznacher Kommunalen Friedenspolitik in anderen Städten und Dörfern übernommen oder als Anregung für eigene, neue friedenspolitische Planungen vor Ort genutzt werden könnten. Zu dem Regionaltag waren Menschen aus den Bistümern Limburg, Mainz, Trier und Speyer eingeladen. Inhaltlich und organisatorisch wurde der Regionaltag von Alois Bauer und mir vorbereitet. Im Vorfeld des Regionaltages kam es zu einem großen Bericht der Allgemeinen Zeitung.

Ende November 2025 kommt nun mit dem dreitägigen Jubiläumstreffen von Sicherheit neu denken eine internationale Friedenskonferenz nach Bad Kreuznach und sorgt für den nächsten großen Schritt nach vorne bei der Entwicklung Bad Kreuznachs zur Friedenskonferenzstadt. Auch hier hat es im Vorfeld eine intensive Berichterstattung über die Konferenz gegeben.

Die Friedenskonferenzen von Pax Christi Rhein Main und Sicherheit neu denken lösen in Bad Kreuznach historisch gesehen ganz konkret militärische Strukturen ab und ersetzen sie durch friedensbewegte Strukturen und Räume. Was ist konkret damit gemeint?

Während des 1. Weltkrieges war Bad Kreuznach von Anfang 1917 bis zum 8. März 1918 Sitz des Großen Kaiserlichen Hauptquartiers. Von Bad Kreuznach aus wurden in drei Kriegszielkonferenzen, die vom deutschen Kaiser und der militärischen Führung mit den Generälen Hindenburg und Ludendorff geleitet wurden, der Krieg und damit die Ermordung von Millionen Menschen geplant, um als Sieger aus dem 1. Weltkrieg hervorzugehen.

Während eines Friedensrundgangs durch Bad Kreuznach habe ich den Teilnehmer*innen dieses Geh-Workshops davon berichtet, dass im selben Kurhaus, in dem 1958 Adenauer und de Gaulle zur Versöhnung zusammenkamen, von 1917 bis Anfang 1918 vor allem der Krieg Deutschlands gegen Frankreich und Belgien geplant  worden war.

Kann sich also Bad Kreuznach wie geplant zu einer Friedenskonferenzstadt entwickeln? Kann die Stadt an der Nahe diese ehemaligen militärischen Strukturen der Kriegszielkonferenzen aus dem 1. Weltkrieg symbolisch durch neue Friedensstrukturen ablösen? Kann Bad Kreuznach dadurch auch den Tourismus ankurbeln? Der oben erwähnte Friedensrundgang vom August 2025 könnte dafür schon eine erste positive Antwort sein.

4. Friedensrundgang als niederschwelliges kommunales Friedensangebot in Bad Kreuznach

Der im August 2025 erstmals angebotene Geh-Workshop zu den markanten Orten von Krieg und Frieden in Bad Kreuznach wurde von der Ev. Jugendarbeit in Zusammenarbeit mit der ehrenamtlichen Einrichtung Bad Kreuznach für Vielfalt, einer ortsansässigen Pfarrerin und mir vorbereitet und durchgeführt. Die Menschen, die an dem etwa zweistündigen Geh-Workshop teilnahmen, machten mehrere Vorschläge für die Weiterentwicklung des lokalen Friedensangebots für die Friedensstadt Bad Kreuznach:

In Reaktion auf die erste deutsch-französische Regierungskonferenz zwischen de Gaulle und Adenauer im Jahr 1958 wurde angeregt, internationale Organisationen verstärkt in Bad Kreuznach anzusiedeln und so einen nachhaltigen lokalen Friedensbezug in der Stadt aufzubauen. Dieser Vorschlag war auch das Ergebnis der überraschenden Information während des Friedensrundgangs, dass es im Jahr 1995 in Bad Kreuznach ein geheimes Versöhnungstreffen zwischen den beiden bis dahin verfeindeten  afrikanischen Präsidenten Yoweri Museveni von Uganda und Mobutu Sese Seko von Zaire (heute: Demokratische Republik Kongo) gegeben hatte.

5. Friedensstadt Bad Kreuznach

Bad Kreuznach wird vor allem deshalb immer wieder als Friedensstadt bezeichnet, weil dem Versöhnungstreffen von Adenauer und de Gaulle am 26. November 1958 im Bad Kreuznacher Kurhaus eine große Bedeutung zukommt. Es diente nicht nur der deutsch-französischen Versöhnung, sondern bildete auch die Basis der europäischen Einigung nach dem Zweiten Weltkrieg.

Der Leitbegriff Friedensstadt entwickelte sich dabei nach und nach in den drei Bad Kreuznacher Zukunftswerkstätten „Frieden“ und hat sich medial durchgesetzt – mittlerweile auch bundesweit. Sieht man sich die bereits oben erwähnten besonderen historischen Ereignisse in der neueren Bad Kreuznacher Geschichte an, so ist es nur folgerichtig, dass Bad Kreuznach so genannt wird. 

Bad Kreuznach entwickelte sich vom zentralen Standort der Kriegsführung im Ersten Weltkrieg zum Standort der Versöhnung zwischen Adenauer und de Gaulle, an die Bundeskanzler Kohl und Frankreichs Präsident Mitterand am 29. und 30. Oktober 1984 mit den 44. dt.-frz. Konsultationen in Bad Kreuznach – ebenfalls im Kurhaus – noch einmal anknüpften, bis hin zum Versöhnungstreffen der beiden bis dahin verfeindeten afrikanischen Staatspräsidenten Yoweri Museveni von Uganda und Mobutu Sese Seko von Zaire im Jahr 1995 in Bad Kreuznachs Kurhaus.

Wozu dient der Begriff Friedensstadt Bad Kreuznach politisch? Er soll zeigen, welche Verantwortung die Stadt Bad Kreuznach für das Thema Frieden hat; er soll aber auch zeigen, welche Möglichkeiten Bad Kreuznach gegeben sind, um Friedensräume und Friedensstrukturen, wie ich sie oben beschrieben habe, zu entwickeln.

Dabei dienen diese Friedensstrukturen und Friedensräume nicht nur dem Frieden selbst, sondern sie können auch Motor für eine erfolgreichere touristische Werbung und für eine verbesserte wirtschaftliche Entwicklung der Stadt sein. Denn mit dem Aufbau des dt.-frz. Masterstudiengangs für Friedens- und Konfliktforschung mit dem Schwerpunkt Gewaltfreiheit in Bad Kreuznach, mit der Ansiedlung einer Akademie für kommunale Konversion und Friedenspolitik in der Stadt, mit der Ausrichtung von Friedenskonferenzen an der Nahe und mit der Ansiedlung von internationalen Organisationen ließen sich eben auch hochwertige Arbeitsplätze nach Bad Kreuznach bringen. Das wiederum würde das Lohnniveau vor Ort anheben und brächte im Übrigen auch mehr touristisch interessierte Menschen in die Friedensstadt Bad Kreuznach.

Diese Entwicklung wäre außerdem Werbung für die Ansiedlung von weiteren bedeutsamen Unternehmen in der Stadt, die nicht unbedingt etwas mit dem Thema Frieden zu tun haben müssen. Sie würden auch deshalb Bad Kreuznach als Ansiedlungsort ins Kalkül ziehen, weil eine verbesserte Lohnstruktur in ihrem Umfeld auch eine erhöhte Kaufkraft ihrer potentiellen Kund*innen nach sich ziehen würde.

Außerdem würde ein hoher Anteil weicher Faktoren in der Region – wie etwa hochwertige Sport- und Kulturangebote – auch hochqualifizierte Mitarbeiter*innen überzeugen, sich an der Nahe in der Friedensstadt Bad Kreuznach als Beschäftigte eines Top-Unternehmens häuslich niederzulassen.

Zehn Jahre Sicherheit neu denken - Kommunale Friedenspolitik und Pazifismus: Eine vorläufige Bilanz

Frieden braucht also Strukturen und Räume in Städten und Gemeinden, um sich als pazifistische Ausprägung vor Ort durchzusetzen und nach und nach militärische Strukturen mit ihren Waffen und Kasernen abzulösen. Nur so kann aus meiner Sicht die Bedeutung einer primär pazifistischen Friedensbewegung wieder den Stellenwert erzielen, den sie in den frühen 1980er Jahren und darüber hinaus errungen hatte. Diese Ablösung ist allerdings kein rein materieller Prozess, wie man sich den Abriss eines alten Gebäudes und den Bau eines neuen an gleicher Stelle vorstellt.

Dieser Ablösungsprozess des hochgefährlichen militärischen Sicherheitsapparats durch ein System, das sich an gewaltfreien Friedensoptionen orientiert, muss sich in den Köpfen und Herzen der Menschen einnisten. Doch das wird nur geschehen, wenn die Pazifizierung für Menschen an konkreten Orten wirtschaftliche Vorteile nach sich zieht.

Ein Vorbild dafür kann die Erfolgsgeschichte der Erneuerbaren Energien sein. In ihren Anfängen wurden deren Anhänger*innen als linke Spinner*innen abgetan. Heute versorgen die Erneuerbaren auf Dächern und Feldern die größten Industrienationen mit sicherer Energie, schaffen viele hochqualifizierte Arbeitsplätze und sorgen grundsätzlich für eine Gesundung der Lebensgrundlagen, wenn man nur die Bereitschaft hat, sie einzusetzen. Sie sind gar nicht mehr wegzudenken. Und mit ihnen lässt sich sogar Geld verdienen – bis in die kleinsten Gemeinden hinein rechnet sich das für viele Menschen.

Genau den gleichen Erfolgsweg kann die Kommunale Friedenspolitik für die Menschen und den Erhalt des Friedens vollführen, wenn man bereit ist, sie einzusetzen. Die Windräder und Solarmodule der pazifizierten Friedensbewegung sind dann Friedenskonferenzen, Friedensstudiengänge, Friedensseminare und Friedensurlaube in den verschiedensten Regionen unseres Landes und darüber hinaus. Auch mit diesem Repertoire an konkreten Friedensprojekten vor Ort ließe sich dann Geld verdienen.

Sicherheit neu denken sollte sich dieser Chancen kommunaler Friedenspolitik intensiv annehmen und so daran arbeiten, dass die Friedensbewegung wieder den Stellenwert in unserer Gesellschaft einnehmen kann, den sie verdient. So kann sie mit ihren Projekten eine Alternative zu militärischem Handeln darstellen, wie es Sonne und Wind für Atomkraft, Kohle und Gas geworden sind – im Sinne des Erhalts der Natur, der Überwindung von Armut und Krieg auf dem Weg zu Gesellschaften, die Auseinandersetzungen friedlich lösen können statt mit Krieg – zum Wohl der Menschen.

Herzlichen Glückwunsch zum 10. Geburtstag, Sicherheit neu denken!

Zum Autor

Der Politologe und ZDF-Redakteur Markus Bach ist Friedensaktivist in Bad Kreuznach. Wer sich für die Einrichtung des Deutsch-Französischen Masterstudiengangs für Friedens- und Konfliktforschung mit Schwerpunkt Gewaltfreiheit und der Akademie für Kommunale Konversion und Friedensarbeit (AKKF) in Bad Kreuznach interessiert, kann die vom Autor dafür erarbeiteten Exposés per Mail bei ihm anfordern: MBachMbach@aol.com.

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