Nachruf auf David Hartsough: Der Zivile Ungehorsame

Bevor er im März im Alter von 84 starb, hat David Hartsough sein Leben lang gegen Krieg und Ungerechtigkeit gestritten - stets im Geist der Gewaltfreiheit.
David Hartsough umringt von drei Polizisten, die ihn festnehmen. Er selbst hat Blumen in der Hand.
Titelbild der Autobiographie von David Hartsough Foto: Karl Mondon / MCT / Contra Costa Times

Von Robert Levering, 14. April 2025

Ein Aktivist der Aktivisten. David Hartsough hat vielen „guten Ärger“ bereitet – bis er nun am 21. März mit 84 Jahren seinem Krebsleiden erlag.

Er wurde in seinem Leben nicht weniger als 150-mal verhaftet. Seit jenem ersten Mal, als er 1960 seine erste Aktion des Zivilen Ungehorsams durchführte, indem er an einem Sitzstreik in einem nach Hautfarbe segregierten Restaurant in Virginia teilnahm. Sein letzter Protest fand im November 2024, fünf Monate vor seinem Tod, an der Travis Air Force Base in California statt: Er hatte die Verschiffung von Waffen nach Israel blockiert, die diese für ihre mörderischen Aktivitäten in Gaza einsetzen würde. 

Zwischen dieser ersten und letzten Seite des Buches seines Protestlebens wurde David verhaftet wegen einer Blockade zu Wasser gegen Flugzeugträger, die nach Vietnam auslaufen wollten, wegen des Protestes gegen den Bau eines Atomkraftwerks in einer erdbebengefährdeten Gegend an der Pazifikküste, wegen der Blockade von Straßen in San Fransisco, um gegen den Irakkrieg zu protestieren. Er führte im Kosovo Trainings in Gewaltfreiheit durch und engagierte sich bei Die-ins in Kalifornien an einer Fabrik, die Atomwaffen herstellt.

Er berichtete ausführlich über diese – und noch viele andere – Aktionen in seiner 2014 erschienen Autobiographie: „Waging Peace: Global Adventures of a Lifelong Activist,”  [Den Frieden wählen: Weltweite Abenteuer eines lebenslangen Aktivisten, d. Red.], ein Buch, das tausende Aktivist*innen auf der ganzen Welt inspirierte.

Wie alles begann

„Ich habe mir meine Eltern gut ausgesucht,” so erklärte David häufig sein Engagement für Frieden und soziale Gerechtigkeit. Als David 10 war, nahm seine Mutter Ruth an einer Demonstration gegen ein Gesetz teil, das die Einführung der Wehrpflicht beinhaltete. Sie fastete eine Woche lang, um den Kongress davon abzuhalten, dieses Gesetz zu verabschieden.

Sein Vater Ray war Pfarrer und arbeitete viele Jahr lang für das Komitee der Quäker (American Friends Service Committee) – beginnend mit dem Engagement für Flüchtlinge in Gaza im Jahr 1949. Ray Hartsough organisierte in seiner Arbeit Vortragsveranstaltungen mit Aktivist*innen wie Bayard Rustin [1912-1987, Bürgerrechtsaktivist und ehemaliger Geschäftsführer der War Resisters League, d. Red.], A.J. Muste [1885-1967, u.a. Präsident des US-amerikanischen Versöhnungsbundes, d. Red.] und Ralph Abernathy [1926-1990, Bürgerrechtsaktivist an der Seite von Dr. Martin Luther King, d. Red.]. Viele von ihnen aßen bei der Familie Hartsough zu Abend. Sie lebte damals etwas außerhalb von Philadelphia in einer Kooperative und Gemeinschaft, gegründet von Kriegsdienstverweigerern während des 2. Weltkriegs.

Als David Teenager war, nahm sein Vater ihn und seinen Bruder Paul in der Zeit des Busboykotts mit nach Montgromery, wo er Dr. Martin Luther King Jr. traf. Er sah King häufig in seiner College-Zeit an der Howard University. David war einer der wenigen Weißen, die in dieser Universität für Afroamerikaner*innen studierten.

Inspiriert von Dr. Martin Luther King und Gandhi

Dass David von Dr. King inspiriert wurde, ist eine Untertreibung. Besser lässt sich sagen: David war sein Leben lang dessen getreuer Schüler. Zu seinen wichtigsten Besitztümern gehörten Audiotapes von Kings’ Reden und Predigten, die David mehrmals im Jahr anhörte. In seiner Autobiographie findet sich ein Anhang mit den Prinzipien von Kings’ Verständnis der Gewaltfreiheit, Werte, die David in seinen 70 Jahren Aktivismus beispielhaft umzusetzen suchte.

David erinnerte sich daran, dass er einmal – während einer Meditation – gehört und gespürt habe, dass Dr. Martin Luther King von hinten auf ihn zugekommen sei, seine Hände auf Davids Schultern gelegt und gesagt hatte: David, ich weiß, dass das Engagement für Frieden und Gerechtigkeit ein sehr einsam machender Kampf sein kann. Ich möchte, dass du weißt, dass ich immer bei dir sein werde.”

Zwei andere Personen spielten zentrale Rollen in Davids Leben. Als David Teenager war, gab sein Vater Ray ihm ein Exemplar von Gandhis Buch „ All Men Are Brothers. [Alle Menschen sind Geschwister, d.Red.] David las viele Schriften von Gandhi und zog aus diesen Beispiele heran, wenn er gewaltfreie Kampagnen organisierte.

Die Lehren von Jesus, insbeonsere die Bergpredigt, haben ihn ebenfalls in seinen Ansichten geprägt. Tatsächlich hat er den Satz über die Feindesliebe in seiner Bibel vorgelesen, als er während eines Sit-ins am Tresen eines segregierten Restaurants mit einem Neonazi konfrontiert wurde. Der Mann hatte ein Messer und drohte David zu töten, wenn er nicht den Laden verlassen würde. David antwortete: „ Mein Freund, mach, was du für richtig hältst, ich werde in jedem Fall versuchen dich zu lieben.” Der Mann nahm sein Hand zurück, drehte sich um und verließ das Lokal.

David schrieb später, dass dies seine eindrücklichste Erfahrung in seiner Jugend gewesen sei: „Es bestätigte meinen Glauben an die Kraft der Liebe, die Kraft der Güte, die Kraft Gottes, der durch uns wirkt, um Hass und Gewalt zu überwinden. Ich hatte im tiefen Sinn erfahren, dass Gewaltfreiheit wirklich funktioniert. In diesem Moment war Gewaltfreiheit mehr als eine philosophische Idee oder Taktik, die in Gandhis Indien funktioniert hatte. Es sollte der Weg werden, wie ich mit anderen Menschen in Verbindung trat, eine Lebensart, ein Weg, um für Veränderungen einzutreten.”

Tatsächlich hat David den Geist der Gewaltfreiheit überall auf der Welt gepredigt – sowohl durch seine Taten als auch durch seine Worte. Er hatte stets eine Sensibilität für Ungerechtigkeiten. Er hatte großes Mitgefühl mit Menschen, die unter Unterdrückung litten, vor allem jene, die Opfer des US-amerikanischen Militarismus und Imperialismus wurden: in Vietnam, El Salvador, in Gaza oder auf den Philippinen, in Sri Lanka oder dem Südsudan. Er wurde Teil des Kampfes in all diesen (und vielen anderen) Ländern.

David Hartsough (links) blockiert mit Dorothy Granada (rechts) einen mit Waffen beladenen Lastwagen an der Concord Marine Station im Juni 1987
David Hartsough (links) blockiert mit Dorothy Granada (rechts) einen mit Waffen beladenen Lastwagen an der Concord Marine Station im Juni 1987 (Foto: Ken Butigan)

David nannte häufig den 1. September 1987 als den schlimmsten Tag seines Lebens. Einige Monate lang hatte er Menschen geholfen, Eisenbahnen und Lastwagen an dem Concord Marinehafen zu blockieren,  wo Waffen Richtung Zentralamerika verschifft wurden, um die Contras im Kampf gegen die regierenden Sandinisten in Nicaragua zu unterstützen.  

Normalerweise räumt die Polizei die Blockierer*innen der Eisenbahnwaggons oder Lastwagen und nimmt sie fest. Aber in jenem Morgen hielt der mit Waffen beladene Zug nicht an. Stattdessen fuhr er über Davids’ Freund Brian Wilson hinweg, durchtrennte seine beiden Beine, schnitt ein Loch in seinen Schädel und fügte ihm weitere schwere Verletzungen zu. David, der von dem Druck des Zugs zu Boden geschleudert wurde, begab sich an Brians’ Seite und hielt seinen Kopf, während andere medizinische Hilfe riefen.

Glücklicherweise überlebte Brian. Aber statt die Kampagne zu beenden, organisierten sie vier Tage später eine Kundgebung mit 10.000 Teilnehmenden. Und für die nächsten Jahre organisierten sie eine 24/7-Präsenz an den Schienen – insgesamt wurden 2.000 Menschen verhaftet, darunter auch Davids Eltern.

Davids Beitrag zur Friedensbewegung

Davids Beitrag zur Friedensbewegung bestand nicht nur aus direkten Aktionen. Er glaubte, dass es nicht ausreicht, gegen Kriege zu protestieren, sondern dass es notwendig ist, Zivilist*innen durch eine gewaltfreie „Armee“ zu schützen und Gewalt in Konfliktgebieten zu verhindern.

2002 gründete er mit anderen die Nonviolent Peaceforce. Inzwischen ist diese zu einer Organisation angewachsen, in der 400 Vollzeit-Friedensfachkräfte in zehn Ländern arbeiten, darunter in der Demokratischen Republik Kongo, Myanmar, Irak und Südsudan. Es wird unterstützt von den Vereinten Nationen, den Regierungen der Niederlande, der Schweiz, Kanadas, Australiens, der Europäischen Union und einer Vielzahl von zivilgesellschaftlichen Initiativen.

2014 gründete Hartsough World Beyond War, deren Ziel die Abschaffung des Krieges ist. Seither wurde deren Schwur in Form einer Friedenserklärung von zehntausenden Menschen unterzeichnet. Die Organisation hat heute 46 Sektionen in 35 Ländern und 111 Mitglieder, die überall auf der Welt zur Bewusstseinsbildung über die Waffenindustrie beitragen wollen und direkte gewaltfreie Aktionen für den Frieden durchführen.

Der private David

Neben seinem 7 Jahrzehnte umfassenden Engagement für Gerechtigkeit in vielen Konfliktgebieten hatte David auch ein Privatleben. 1967 heiratete er Jan Hartough. Auch sie war für soziale Gerechtigkeit aktiv und wurde ebenfalls mehrfach gemeinsam mit David verhaftet. Ihre beiden Kinder Peter and Heidi haben jeweils zwei Kinder. Gemeinsam mit seinem Bruder Paul und dessen Kindern verbringt die Familie Hartsough viel Zeit miteinander , meist in der Natur, z.B. in ihrer Holzhütte nahe Echo Lake in den Sierra Mountains in Colorado (70 km westlich von Denver enfernt).

Wenn David zu Hause in San Francisco war, ging er fast täglich ins Arboretum im Golden Gate Park und bewunderte die Schönheit der Blumen. Spontan applaudierte er, wenn er besonders schöne entdeckte. Selbst als er vor vier Jahren die Diagnose Krebs im Endstadium erhielt, bestand David auf Bergwandertouren in der Sierra und den Grand Tetons. Einige der Bergwanderungen gingen 10 Meilen (16 Kilometer) weit. Er liebte es auch mit Freund*innen in der San Francisco Bay zu segeln.

Die Erinnerung an David wäre nicht komplett, wenn wir nicht seine Liebe zur Musik erwähnen würden. Nach seiner Diagnose haben er und seine Freund*innen sich wöchentlich getroffen, um am Baker Beach mit Blick auf die Golden-Gate-Bridge Folk-Songs zu singen. (David spielte dabei die Gitarre.) Er schrieb diesen musikalischen Treffen zu, dass er die Prognosezeiten seiner Ärzte überlebte.

Am Abend vor seinem Tod freute sich David, am gemeinsamen Singen von Broadway-Musical Hits virtuell teilzunehmen, angeleitet durch seinen lebenslangen Freund [und Waging-Nonviolence-Autor, d. Red.], George Lakey.

Auch wenn er nicht mehr bei uns ist, wird David lange im Gedächtnis bleiben aufgrund seines anhaltenden Engagements für Gerechtigkeit – und seines Glaubens: dass „we shall overcome one day.”

Über den Autor

Robert Levering war von 1967 bis 1973 hauptamtlicher Organisator der Anti-Vietnamkriegs-Proteste.

Er war Berater des Films „The Boys Who Said NO!“ [Die Jungs, die NEIN sagten] aus dem Jahr 2020 über die Bewegung der Kriegsdienstverweigerung und ausführender Produzent von „The Movement and the ‚Madman‘“ [Die Bewegung und der Verrückte], einem Dokumentarfilm über die Auswirkungen der Demonstrationen im Herbst 1969 auf Nixon.

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