Politischer Oscar für Versöhnung, Demobilisierung und nachhaltige Landwirtschaft in den Philippinen

Der Weltzukunftsrat hat am 27. November 2024 das Programm „Von Waffen zu Bauernhöfen“ aus den Philippinen, mit dem prestigeträchtigen World Future Policy Award ausgezeichnet. Das Programm wird seit 2010 unter Bürgermeister Rommel C. Arnado in Kauswagan vorangetrieben.
Hier ist das Titelbild zu sehen. Es zeigt Rommel C. Arnado, der den World Future Policy Award bei der Zeremonie in Genf entgegennimmt.
Rommel C. Arnado nimmt den World Future Policy Award in Genf entgegen.

von Kevin Kaisig

Die Verleihung der „Polit-Oscars“, der weltweit wichtigsten Preise für Politik und Gesetzgebung, hat am 27. November 2024 bei einer Zeremonie im Maison de la Paix in Genf stattgefunden. Dabei gab der Weltzukunftsrat vier Gewinner bekannt: das Programm „Von Waffen zu Bauernhöfen“ aus den Philippinen, das Waliser Gesetz zum Wohlbefinden künftiger Generationen (Well-Being of Future Generations Act 2015), das Moriori-Friedensbekenntnis aus Neuseeland und Kanadas feministische internationale Hilfspolitik. Der Preis wurde 2024 zum 13. Mal verliehen und stand unter dem Motto „Frieden und zukünftige Generationen“. Ausgezeichnet wurden politische Maßnahmen, die kreative und integrative Lösungen auf allen Ebenen darstellen, um Konflikte zu lösen, Kriege zu verhindern und eine Kultur des Friedens zu fördern. Die Gewinner zeigen, dass friedliche Lösungen für die Konflikte von heute möglich sind, und dass der Schutz künftiger Generationen erfolgreich in die Entscheidungsfindung integriert werden kann.

Die Jury aus internationalen Experten hatte 47 Nominierungen aus 29 Ländern erhalten und zunächst 12 Finalisten bestimmt. Der ‚erste‘ World Future Policy Award ging nun an „Von Waffen zu Bauernhöfen“. In der Begründung hieß es, dass das philippinische Programm Friedenskonsolidierung und nachhaltige Entwicklung verbinde. Nahrung wird so zum Werkzeug für den Frieden. Die Erfahrungen aus Kauswagan hätten darüber hinaus ein enormes Potenzial für die Übertragung auf andere Regionen. Bereits jetzt habe es andere Orte in den Philippinen und weltweit inspiriert. Bürgermeister Rommel C. Arnado nahm den Preis stellvertretend für seine Stadtgemeinde Kauswagan entgegen und bedankte sich für die Auszeichnung mit den Worten:

„Wir haben gelernt, dass die Ursache unserer Probleme in Hunger und Armut zu finden war. Frieden könnte es niemals geben, wenn unsere Leute weiter hungern würden. […] Unsere entschlossenen Anstrengungen führten zu einem starken Band zwischen neuen Politiker*innen – mich eingeschlossen – den Gemeindevertreter*innen und der Bevölkerung. Über unser vereintes Handeln und mithilfe der ehemaligen Guerillakämpfer und deren Anführern, die sich aktiv in die Gestaltung von Lösungen einbrachten, konnten wir gemeinsam zu Ergebnissen kommen. […] Ich teile diesen Preis mit allen, die an ‚Von Waffen zu Bauernhöfen‘ beteiligt waren und mit der philippinischen Bevölkerung […] Unsere Erfahrungen in den Philippinen bezeugen erneut, dass lokal verankerte Programme für die Erreichung globaler Ziele unerlässlich sind“.

„Von Waffen zu Bauernhöfen – From Arms to Farms“

Das Programm „Von Waffen zu Bauernhöfen“ startete im Jahr 2010 in Kauswagan, einer philippinischen Stadtgemeinde in der Provinz Lanao del Norte. Zu dieser Zeit war die Region von Gewalt und kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen der separatistischen Guerrillagruppe „Moro Islamic Liberation Front“ und den Regierungstruppen gezeichnet. Große Armut, Hunger und grassierende Korruption verstärkten die Spannungen zwischen christlichen und muslimischen Gemeinschaften. Von der Geschichte jahrelanger Kämpfe ließ sich der neue Bürgermeister Rommel C. Arnado jedoch nicht entmutigen und setzte sich für Frieden und nachhaltige Entwicklung ein. Er leitete Konsultationen und Dialoge, auch zwischen christlichen und muslimischen Bevölkerungsteilen, um Vertrauen aufzubauen und bot mit dem Programm „From Arms to Farms“ eine attraktive Abmachung an: Demobilisierung und Entwaffnung gegen Land und Aus- bzw. Weiterbildungen in Anbaumethoden nachhaltiger Landwirtschaft, Finanzen und Konfliktresolution.

Mit der Zeit wandelte sich das Konfliktgebiet durch die gemeinschaftsgetragenen Entwicklungsmaßnahmen und die ökologische Landwirtschaft in eine friedliche und produktive Region. Die Armut sank von 80 % im Jahr 2010 auf 9,1 % im Jahr 2020. Bereits ab 2012 wurden keine Straftaten mehr im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten registriert. Mehr als 5.000 ehemalige Guerillakämpfer gaben die Waffen auf und gingen in die Landwirtschaft. Heutzutage werden 6.000 Hektar Land in Kauswagan bewirtschaftet und sorgen für Ernährungssicherheit und ökonomische Stabilität. Alle 13 Dorfgemeinschaften in Kauswagan betreiben zu 100 % biologische Landwirtschaft.

Inspiration für Konfliktregionen weltweit: die Herausforderungen

Der Preis setzt damit ein wichtiges Signal – das in einer Welt, die mit der größten Anzahl bewaffneter Konflikte seit 1946 konfrontiert ist. Ein Viertel der Weltbevölkerung lebt in konfliktbetroffenen Gebieten (UN-Bericht über die Ziele für nachhaltige Entwicklung 2022 und Global Peace Index 2023). Mehr als 170.000 Menschen sind im vergangenen Jahr durch Kriege und gewaltsame Konflikte ums Leben gekommen (Armed Conflict Location & Event Data Project, US News, Januar 2024), und eine Rekordzahl von 114 Millionen Menschen weltweit war gezwungen, aufgrund von Konflikten, Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen aus ihrer Heimat zu fliehen (UNHCR, Oktober 2023). Von bewaffneten Konflikten sind sowohl Soldat*innen als auch die Zivilbevölkerung betroffen, darunter Frauen, Kinder und andere gefährdete Gruppen (indigene Völker, ältere Menschen, Behinderte, Menschen mit niedrigem Einkommen, Binnenvertriebene und Geflüchtete). Derzeit lebt eines von fünf Kindern weltweit (etwa 468 Millionen) in bewaffneten Konfliktgebieten (UNHCR, November 2023).

Militarismus und bewaffnete Konflikte haben verheerende Auswirkungen auf die Umwelt, darunter militärische Verschmutzung, Ressourcennutzung/-ausbeutung, Explosionsschäden und über 5 % der weltweiten Kohlenstoffemissionen (Conflict Environment and Observatory, November 2022). Die globalen wirtschaftlichen Auswirkungen von bewaffneten Konflikten und Gewalt sind auf über 17 Billionen US-Dollar pro Jahr gestiegen (Global Peace Index 2023). Drängende globale Probleme wie Militarisierung, Extremismus und Klimawandel drohen diese Zahlen in den kommenden Jahren noch weiter zu verschärfen.

Das Buch zu „Von Waffen zu Bauernhöfen“

Die Preisverleihung kommt also genau zur richtigen Zeit. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit den inspirierenden Ereignissen in Kauswagan gelingt über das neue Buch „Frieden schaffen mit Biolandbau“. Es erschien Mitte des Jahres 2024 und beschreibt die Einzelheiten der  engagierten Friedensarbeit in Kauswagan. Geschrieben haben es Rommel C. Arnado, Bürgermeister von Kauswagan und Gründer der „From Arms to Farms Foundation“ (Stiftung Von Waffen zu Bauernhöfen), sowie Bernward Geier, ehemaliger Direktor der Internationalen Vereinigung der ökologischen Landbaubewegungen (IFOAM). „Rommel C. Arnado ist es gelungen […] Kauswagan zu befrieden […] Miteinander reden, gemeinsames Singen und Musizieren. Kauswagan und Rommel Arnado sind ein gelebtes, sehr erfolgreiches und überzeugendes Beispiel für die Utopie eines herrschaftsfreien und liebevollen Miteinanders“, kommentiert Konstantin Wecker seine Lektüre. Auch in der gewaltfreien aktion haben wir bereits über die Erfahrungen in Kauswagan berichtet: Interview mit Rommel Arnado und Artikel von Berward Geier.

Hier ist Bild 1 zu sehen. Es zeigt das Buchcover von „Frieden schaffen mit Biolandbau. Schwerter zu Pflugscharen“.
Das Buchcover von „Frieden schaffen mit Biolandbau. Schwerter zu Pflugscharen“

Für das Jahr 2024 war eigentlich eine Vortragstour von Rommel C. Arnado und einer Delegation aus Kauswagan durch Deutschland geplant. Dies scheiterte jedoch aufgrund von Visa-Formalitäten, aber die philippinischen Gäste konnten sich bei einer Reihe von Veranstaltungen in Hamburg, Bonn, Kirchberg/Jagst, Freiburg, Nürnberg und München digital dazuschalten. Zur Kompensation ist eine weitere Tour für den Zeitraum Januar-Februar 2025 vorgesehen. Genaue Daten gibt es noch nicht, aber weitere Infos und Ankündigungen finden sich hier.

Die anderen Finalisten und der Weltzukunftsrat

Auch die anderen Gewinner des World Future Policy Awards 2024 stellen wichtige politische Initiativen für den Frieden dar.  Das Waliser Gesetz zum Wohlbefinden künftiger Generationen verpflichtet öffentliche Stellen dazu, die langfristigen Auswirkungen von Entscheidungen auf zukünftige Generationen zu berücksichtigen. Kanadas feministische internationale Hilfspolitik stellt die Gleichstellung der Geschlechter, die Stärkung von Frauen und Mädchen sowie die Führungsrolle von Frauen bei der Friedenskonsolidierung und Sicherheit in den Mittelpunkt der internationalen Entwicklungszusammenarbeit.

Schließlich ist das Moriori-Friedensbekenntnis als ein außergewöhnliches Bekenntnis zu Gewaltfreiheit, Frieden und Nachhaltigkeit der indigenen Moriori von Rēkohu auf den Chatham-Inseln, Neuseeland, ausgezeichnet worden. Das Friedensbekenntnis wurde im 16. Jahrhundert unter Chief Nunuku-whenua beschlossen und ist bis heute ein starkes, lebendiges Ethos und eine Quelle der Inspiration. Es führte dazu, dass es 1835 keinen gewaltsamen Widerstand gegen die Angriffe der Maori auf die Chatham-Inseln gab. Im November 2021 verabschiedete das neuseeländische Parlament das Gesetz zur Beilegung der Moriori-Ansprüche. Gemäß den Bestimmungen des Gesetzes umfasst das Vergleichspaket u.a. eine formelle Entschuldigung der Britischen Krone, die Übertragung von kulturell und spirituell bedeutsamen Ländereien an die Moriori als kulturelle Wiedergutmachung sowie eine finanzielle Entschädigung in Höhe von 18 Millionen NZ$. Auch fördert der neuseeländische Staat die Rückbesinnung der Moriori auf ihre tradtionelle Kultur.

Darüber hinaus umfasst der World Future Policy Award 2024 einen Visionspreis, der dieses Jahr das transformative Potenzial und die ersten Erfolge des nigerianischen „Nationalen Aktionsplans für Jugend, Frieden und Sicherheit von 2021“ hervorhebt, sowie drei Ehrennennungen: das „Große Friedensgesetz der Haudenosaunee-Konföderation –Kaianere’ko:wa“ aus dem 12. Jahrhundert, das den Krieg zwischen fünf indigenen Nationen in Nordamerika durch ein föderalistisches Modell beendete und heute immer noch in Kraft ist; die 1997–1998 von Neuseeland geführte „Pazifische Partnerschaft für Friedensüberwachung und Mediation“ in Bougainville, die zur Beendigung eines zehnjährigen Bürgerkriegs beitrug; und Costa Ricas kombinierte Politik der Abschaffung der Armee im Jahr 1948, der Annahme der aktiven Neutralität im Jahr 1983 und der Proklamation des Friedens als Menschenrecht im Jahr 2014.

Der prestigeträchtige World Future Policy Award wird inzwischen jedes Jahr vom Weltzukunftsrat an die erfolgreichsten politischen Maßnahmen im Umgang mit globalen Herausforderungen verliehen. Es werden Programme ausgezeichnet, die eine gemeinsame Zukunft gestalten, in der jeder Mensch in Würde auf einem gesunden und nachhaltigen Planeten lebt. Letztes Jahr stand der Preis unter dem Motto einer giftfreien Welt. Im nächsten Jahr wird es um ein Leben in Harmonie mit der Natur gehen. Der Weltzukunftsrat wurde von Jakob von Uexkull, dem Gründer des Alternativen Nobelpreises, 2007 ins Leben gerufen. Er setzt sich aus 50 herausragenden globalen sozialen Innovator*innen zusammen, u.a. Alyn Ware, María Fernanda Espinosa, Hafsat Abiola-Costello, Luc Gnacadja und Vandana Shiva. Bislang hat der Weltzukunftsrat 65 wegweisende Gesetze und Politikbeispiele aus 40 Ländern ausgezeichnet und so international bekannter gemacht. Nach Verbreitung eines argentinischen Gesetzes durch den Weltzukunftsrat konnten auf dessen Grundlage 145.000 Waffen in Bosnien-Herzegowina zerstört werden. Der Hauptsitz des Weltzukunftsrats befindet sich in Hamburg.

Frieden schaffen mit Biolandbau. Schwerter zu Pflugscharen
Rommel C. Arnado und Bernward Geier
Verlag: AL-TOP, München 2024
ISBN: 978-3-925646-73-7
112 Seiten
15,00 €, davon gehen 5,00 € an die Stiftung „From Arms to Farms“

Zum Autor

Kevin Kaisig ist Redakteur der gewaltfreien aktion.

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