von Dalilah Shemia-Goecke
Wie fühlt es sich an, mitten auf dem Mittelmeer eine Entscheidung zu treffen, die eine ganze Regierung ins Wanken bringt? Wie findet man den Mut, mit einem Schiff voller Geflüchteter in einen verbotenen Hafen einzulaufen – wissend, dass man verhaftet werden könnte? Und was treibt jemanden an, nach solchen Erfahrungen nicht nur weiterzumachen, sondern auch in zahlreichen Klimaprotesten und im EU-Parlament für Veränderung zu kämpfen?
Die zweite Staffel des Podcast Tee und Taktik startet mit einer beeindruckenden ersten Folge: Lea Bonasera begrüßt Carola Rackete – Aktivistin, Klimaschützerin, Seenotretterin und seit 2024 EU-Abgeordnete. Gemeinsam werfen sie einen Blick hinter die Kulissen von Protest, politischem Engagement und persönlicher Motivation. Es ist eine Folge, die nicht nur berührt, sondern auch zum Nachdenken und Handeln anregt.
„Ich musste mich engagieren“
Die Reise von Carola Rackete begann nicht in einem Protestcamp, sondern auf einem Forschungsschiff in der Arktis. 2011, während ihrer ersten Reise zum Nordpol auf der „Polarstern“ sah sie mit eigenen Augen, wie dramatisch die Klimakrise voranschreitet: Das Eis war dünn und brüchig, Wissenschaftler*innen berichteten frustriert von den immer gleichen Warnungen, die in der Politik ungehört blieben. „Was bringt es, die richtigen und wichtigen Daten zu sammeln, wenn niemand handelt?“ Diese Frage brachte Rackete dazu, ihren Kurs zu ändern – von der Forschung hin zum Aktivismus.
Ihr Weg führte auf das Mittelmeer, wo sie als Kapitänin der Sea-Watch 3 im Jahr 2019 in den Mittelpunkt internationaler Aufmerksamkeit rückte. Es folgten weitere Schauplätze des zivilen Widerstands: Proteste gegen den Klimawandel in Deutschland und Skandinavien sowie Blockaden von Waldrodungen.
Seenotrettung: Ein Protest, der keiner war – und doch alles veränderte
Rackete beschreibt eindrücklich, wie ihre Entscheidung, mit geretteten Geflüchteten ohne Erlaubnis in den Hafen von Lampedusa einzulaufen, nicht aus Protest, sondern aus purer Notwendigkeit fiel. „Es war kein Protest in dem Sinne. Es war ein Notfall – die Menschen an Bord brauchten Hilfe.“ Doch die Aktion entfaltete eine enorme politische Sprengkraft: Sie zeigte die Untätigkeit europäischer Staaten, die systematische Kriminalisierung von Seenotrettung und die Gewalt gegen Schutzsuchende. Gleichzeitig brachte sie Menschen in ganz Europa auf die Straßen, um Solidarität zu zeigen.
Rackete analysiert in dieser Folge von Tee und Taktik, warum diese Aktion so große Wellen schlug – und welche gesellschaftlichen Dynamiken sie ermöglichten. Von sexistischer Rhetorik des damaligen italienischen Innenministers Salvini, die viele Frauen empörte, bis hin zum allgemeinen Unmut über dessen Migrationspolitik: „Es war wie ein Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.“ Die Regierung Italiens fiel kurz darauf, der Protest hatte indirekt Erfolg.
Vom Meer in den Wald: Wie Carola Rackete für Klimagerechtigkeit kämpft
Carola Rackete spricht auch über ihre Erfahrungen mit Klimaprotesten – und wie sie von den schmelzenden Eismassen am Nordpol zu einer der bekanntesten Stimmen der Klimagerechtigkeitsbewegung wurde. Sie schloss sich Waldbesetzungen an, unterstützte die Proteste gegen den Autobahnbau im Dannenröder Forst [Landkreis Marburg-Biedenkopf] und arbeitete mit Extinction Rebellion in London zusammen. Besonders beeindruckend beschreibt sie ihre Erfahrungen in Skandinavien, wo sie an dekolonialen Protesten der indigenen Sami beteiligt war und auf eindrückliche Weise zeigt, dass Klimagerechtigkeit auch immer eine Frage sozialer Gerechtigkeit ist. Mit ihrer nüchternen, aber entschlossenen Art gibt sie tiefe Einblicke in die Herausforderungen, aber auch in die Kraft der internationalen Klimabewegung – und zeigt, dass Widerstand mehr ist als nur Protest: Es ist der Kampf für eine lebenswerte Zukunft.
Hoffnung und Handeln in unsicheren Zeiten
Was kann jede*r Einzelne tun, wenn die Herausforderungen der Welt erdrückend wirken? Carola Rackete gibt eine klare Antwort: „Es hilft, sich auf das Konkrete zu fokussieren – auf etwas, das man selbst tun kann. Nicht alle Probleme lösen, sondern eine Sache in Angriff nehmen. Wenn wir alle so handeln, bewegen wir gemeinsam viel.“
Mit dieser Botschaft und vielen spannenden Einblicken in ihre Erfahrungen als Aktivistin und Abgeordnete ist diese Folge ein inspirierender Auftakt für die zweite Staffel von Tee und Taktik.
Hören Sie rein und lassen Sie sich von den Geschichten und Analysen Carola Racketes inspirieren. Die Folge ist jetzt auf Spotify, Apple Podcasts und anderen Plattformen verfügbar. Für alle, die daran zweifeln, ob Engagement etwas bringt. Und für alle, die an die Kraft des gewaltfreien Widerstands glauben – oder daran erinnert werden möchten, warum es sich lohnt zu kämpfen.
Siehe auch den Artikel zur ersten Folge des Podcasts Tee & Taktik
