von Owen Schalk
"Wir haben uns gefühlt, als hätten wir uns selbst ein Messer in den Rücken gestoßen."
Diesen bitteren Satz sagte Kateri Saabe Ikwe Phillips. Sie ist Oberschul-Lehrerin im Reservat einer Gemeinschaft der Anishinabe, der Hollow Water First Nation, am Südostufer des Winnipegsees. Sie arbeitet mit im Camp „Morning Star“ (Morgenstern), einem Camp, das im Februar 2019 mit dem Ziel errichtet wurde, den Abbau von Quarzsand durch das in Alberta ansässige Unternehmen Canadian Premium Sand (CPS) zu stoppen.
Für diese Reportage habe ich das Camp besucht und mit den Aktiven gesprochen.
Das Camp wurde an einer Straße errichtet, die zum ursprünglich geplanten Standort des Sand-Abbau-Projekts führt. Das Gelände am Standort war bereits Jahre zuvor abgeholzt worden, und obwohl die Pflanzenwelt wieder zu wachsen beginnt, stehen die grauen, blattlosen Zweige der Bäume in starkem Kontrast zu dem üppigen Wald, der das Camp umgibt. [Einen Eindruck vom Camp und den dort Aktiven gibt der Dokumentarfilm von Kevin Settee, Link]
Beim Apfelkuchen-Essen am Feuer erzählen die Camp-Mitglieder von ihrer Enttäuschung über die Entscheidung des Premierministers der Provinz Manitoba, Wab Kinew, vom Februar 2024, die Mine zu genehmigen. Ihr Wahlbezirk wird seit Jahren von der Neuen Demokratischen Partei (NDP) oder der Liberalen Partei (LPC) von Ministerpräsident Justin Trudeau regiert. Die Provinz Manitoba war jedoch lange Jahre in der Hand der Progressiv-Konservativen Partei (PC). Während die Gemeindemitglieder nicht erwarteten, dass die PC ihre Bedenken verstehen würde, glaubten einige, dass die NDP mit dem 2023 gewählten Kinew, der selbst indigene Wurzeln hat, mit ihnen sympathisieren würde.
Mary Jane (MJ) McCarron, Erzieherin und Mitglied des Camps, hatte gehofft, dass Kinews Regierung die Bevölkerung stärker miteinbeziehen und ihr eine Mitentscheidung über das Quarzsand-Projekt ermöglichen würde. Ein solcher beteiligungsorientierter Ansatz wäre in den traditionellen indigenen Vertragspraktiken der Gegenseitigkeit und der zuvor wohlinformierten, freien Zustimmung verwurzelt. „Ich hatte wirklich gehofft, dass er einige dieser Dinge einbringen würde“, sagt sie, „damit wir uns nicht in dieser konfrontativen Position befinden und uns gezwungen sehen, den öffentlichen Druck [auf seine Regierung] zu erhöhen.“
Als Kinew, der erste Premierminister der Provinz mit indigenen Wurzeln seit 1887, das Projekt genehmigte, fühlten sich viele Mitglieder des Camps tief verletzt – der symbolische Dolchstoß, den Kateri Saabe Ikwe Phillips erwähnte.
"Es ist Umwelt-Rassismus"
Mit dem großen Bedarf nach wichtigen Rohstoffen in Kanada und weltweit steigt auch die Nachfrage nach Quarzsand. Der Sand wird zur Herstellung von Glas eingesetzt und ist damit auch ein wichtiger Bestandteil von grünen Technologien wie Solarzellen, Halbleitern und Batterien. Außerdem ermöglicht die Gewinnung von Quarzsand es Kanada und seinen westlichen Verbündeten, mit ihrem geopolitischen Konkurrenten China mitzuhalten.
In Manitoba stehen zwei Bergbauunternehmen im Mittelpunkt des Streits um den Abbau von Quarzsand: Sio Silica und Canadian Premium Sand (CPS).
In der Gemeinde Vivian, im Südosten Manitobas, löste die Sio-Silica-Mine Befürchtungen über Bodenschäden und eine Verschlechterung der Luftqualität aus. Das Unternehmen plante außerdem, den Sand aus dem Grundwasser zu gewinnen, was zur Absenkung des Grundwasserspiegels und dessen Kontaminierung hätte führen können.
Im Februar 2024 gab Premierminister Wab Kinew daher bekannt, dass die Provinzregierung beschlossen habe, Sio Silica keine Umweltlizenz zu erteilen. Während er Sio ablehnte, sagte Kinew jedoch „ja zu CPS“. Er fügte hinzu, dass die Quarzsand-Mine in der Nähe des Ortes Hollow Water, gegen die sich das Camp Morning Star seit 2019 wehrt, „Teil der wichtigen Rohstoffstrategie unserer Regierung ist und Manitoba einen bedeutenden wirtschaftlichen Nutzen bringen wird, während unsere kohlenstoffarme Wirtschaft wächst.“
CPS erhielt unter anderem wegen seiner „bewährten Abbautechnik“ grünes Licht. Viele der Bedenken, die in der Gemeinde gegen Sio Silica geäußert wurden, gelten jedoch auch für das CPS-Projekt Wanipigow Sand. Insbesondere sind die Mitglieder des Protest-Camps über die Wasserverschmutzung durch saures Abwasser und die Staubbelastung besorgt. Letztere kann Silikose (Staublunge) oder Krebs verursachen. Hinzu kommen die Gefahren, die von den Sandlastwagen auf der schmalen Straße von Pine Falls zum Minengelände ausgehen.
Es spielen auch ethnische und geografische Faktoren eine Rolle. Die Bevölkerung von Springfield, der ländlichen Gemeinde, in der das Abbaugebiet Vivian liegt, ist überwiegend weiß, und viele Einwohner*innen sind in der Landwirtschaft tätig, einem der wichtigsten Wirtschaftszweige der Provinz. Vivian liegt außerdem im Süden Manitobas, wo der größte Teil der Bevölkerung der Provinz lebt. Tatsächlich leben 56 Prozent der Einwohner Manitobas, etwa 750.000 Menschen, in der Hauptstadt Winnipeg, etwa eine Stunde westlich von Vivian.
Im Gegensatz dazu leben im abgelegenen Keewatinook weniger als 18.000 Menschen, von denen sich 98 Prozent als indigen bezeichnen.
Kateri Saabe Ikwe Phillips, die Lehrerin aus Hollow Water, bezeichnet die Entscheidung der Regierung von Manitoba, Sio abzulehnen und CPS zu unterstützen, als Umweltrassismus. „Die Wurzeln dieses Problems reichen weit vor Wab Kinew und seine Regierung zurück“, sagt sie. „Die Politik wendet ihre Macht seit Jahren gegen uns.“
"Wir haben uns nie selbst verraten."
Im Dezember 2018 reichte CPS seinen Antrag für das Projekt Wanipigow Sand nach dem Umweltgesetz von Manitoba (EAP) ein. Nach Erhalt solcher Anträge führt die Provinzregierung eine Prüfung durch und lehnt Anträge entweder ab oder erteilt eine Lizenz mit Auflagen. Damals stellte Don Sullivan von der Umweltgruppe What the Frack Manitoba „wichtige Auslassungen, Mängel und Ungenauigkeiten bei den Informationen des EAP-Antrags fest“. Im Mai 2019 genehmigte die Regierung von Manitoba die Umweltlizenz dennoch.
Die Gemeindemitglieder waren auch darüber besorgt, dass CPS eine Absichtserklärung mit dem Häuptling der Hollow Water First Nation Larry Barker unterzeichnet hatte, die eine Zahlung von 250.000 Dollar an die Reservatsregierung vorsah.
Viele Gemeindemitglieder waren der Meinung, dass die Mine ohne eine ordnungsgemäße Konsultation gemäß Abschnitt 35 der kanadischen Verfassung genehmigt wurde, insbesondere nach einer Räumung des Geländes, bei der eine Fallenstellerroute der Gemeinde zerstört wurde.
Gemäß Abschnitt 35, der 1982 verabschiedet wurde, hat „die kanadische Regierung die Pflicht, indigene Gruppen zu konsultieren und ihnen gegebenenfalls entgegenzukommen, wenn sie ein Vorgehen in Erwägung zieht, das sich nachteilig auf potenzielle oder bestehende Rechte der indigenen Bevölkerung oder Vertragsrechte auswirken könnte.“
Bei den Rechten nach Abschnitt 35 handelt es sich um Gemeinschaftsrechte: Sie beziehen sich auf die Fähigkeit indigener Völker, ihre Gemeinschaften und traditionellen Lebensweisen zu erhalten und ihre verfassungsmäßig geschützten Rechte auszuüben.
Als 1982 dieser Verfassungspassus eingefügt wurde, waren den First Nations ihr Landeigentum bereits entzogen und die Menschen in Reservate umgesiedelt worden. Dies geschah im Rahmen des sogenannten Vertrags 5, einem Abkommen aus dem Jahr 1875 zwischen den Anishinaabe-Gemeinschaften der Ojibwe und Swampy Cree einerseits sowie der kanadischen Bundesregierung andererseits. Die Anishinaabe von Hollow Water, die den Ojibwe angehören, lebten ursprünglich auf Black Island im Winnipegsee, aber die kanadische Regierung schuf zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Reservat Wanipigow (Hollow Water) und siedelte die Bewohner*innen von Black Island dorthin um, um die Rohstoffe der Insel ausbeuten zu können. Sowohl Black Island als auch das Hollow-Water-Reservat sind das traditionelle Territorium der Anishinaabe. Sie werden von dem Vertrag 5 erfasst.
In anderen Worten: Die Anishinaabe lebten auf der Insel selbst und den Küsten, aber vor allem war die Insel ihr Zentrum für spirituelle Bildung und ist noch immer ein heiliger Ort für sie. Beide Ländereien, Black Island und Hollow Water, sind traditionelles Territorium der Anishinaabe und unterliegen damit dem Abschnitt 35 der Verfassung.
Im Jahr 2019 lebten etwa 2.000 Einwohner*innen in Hollow Water, davon 1.070 im Reservat und 960 außerhalb des Reservats. Nun fürchten die Bewohner*innen des Festlands, dass das neue Minenprojekt sie wiederum vertreiben könnte (siehe den Film von Kevin Settee (LINK).
Die Camp-Mitglieder beschuldigen den Häuptling und den Rat, ihre Rechte nach Abschnitt 35 durch die Unterzeichnung der Absichtserklärung ohne vorherige Konsultation der Gemeinschaft missachtet zu haben. Tatsächlich hat sich die Führung von Hollow Water erst nach der Unterzeichnung der Erklärung von CPS an die Provinzregierung gewandt, damit diese einen Konsultationsprozess finanziert. Die Regierung der Hollow Water First Nation hat auf meine Bitte um Stellungnahme nicht geantwortet.
Die Aktiven des Camps Morning Star sind der Ansicht, dass der anschließende Konsultationsprozess, obwohl er von der Provinz finanziert wurde, vollständig vom Häuptling und dem Rat kontrolliert wurde. Die Mitglieder der Gemeinschaft hatten keinen Einfluss auf die Gestaltung des Prozesses und behaupten, dass die Konsultation erst stattfand, nachdem unwiderrufliche Entscheidungen – einschließlich der Zerstörung der Fallenstellerroute – getroffen worden waren.
Für die Bewohner*innen von Hollow Water war die Zerstörung der Fallenstellerroute ein wichtiger Grund für die Gründung von Camp Morning Star. „Dadurch wird uns die Möglichkeit genommen, unser vertragliches Recht auf Fallenjagd auszuüben“, erklärt McCarron. „Aber der Häuptling hat das Recht [die kollektiven Rechte außer Kraft zu setzen]. Wir sehen das als ein großes Problem, das von der Bergbaufirma ausgenutzt wird.“Auch die lokale Ökologie hat gelitten. Der Lebensraum der Hirsche in der Nähe des Minengeländes, der auch von Elchen genutzt wird, wurde verkleinert. (…)
Die Zerstörung der gemeinschaftlichen Fallenstellerroute, die Abholzung des Waldes und die offene Missachtung der Konsultationsrechte der Gemeinde nach Abschnitt 35 durch den Häuptling und den Rat haben einige Gemeindemitglieder dazu veranlasst, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.
In der Nacht zum 15. Februar 2019 errichteten fünf Männer ein Tipi und ein Wandzelt auf der Zufahrtsstraße zum geplanten Minengelände, in der Hoffnung, damit auf ihre Notlage aufmerksam zu machen. Sie benannten das Lager nach John Hardisty, der den spirituellen Namen „Morgenstern“ trägt. Er ist einer der Erstunterzeichner des Vertrags 5, jenem Vertrag aus dem Jahr 1875, in dem die Anishinaabe-Indianer ihr ursprünglich bewohntes Gebiet an die Weißen abtraten. Sie zogen in ein anderes Gebiet, allerdings nicht in dem Sinne, dass sie damit auch die traditionellen Rechte als First Nation an ihrem Territorium verlieren würden. Genau das aber stand in dem englischsprachigen, niedergeschriebenen Text, der anders war als der mündlich vereinbarte Cree-Text. [Das letzte ist eine Zusatzinformation aus dem englischsprachigen Wikipedia-Artikel zum Vertrag 5, d. Red.]
Marcel Hardisty ist ein Ältester der Anishinaabe und ein direkter Nachfahre von Morning Star. Inmitten von Bäumen, die mit Bändern in den vier Farben des Medizinrads behangen und verbunden sind, erklärt Hardisty, dass die fünf Männer, die in jener Nacht Mitte Februar die Zufahrtsstraße besetzten, „an die Vision“ von John Hardisty und an Vertrag 5 [im oben genannten Sinne, d. Red.] glaubten.
Eine ordnungsgemäße Konsultation habe nicht stattgefunden, sagt Marcel Hardisty: „Das war eine Farce “. Auf diese Weise versuchte CPS den Widerstand der Gemeinschaft zu vermeiden – einen Widerstand, der in den Lehren der Anishinaabe über die wechselseitige Verbundenheit der menschlichen und der nicht-menschlicher Welt wurzelt.
„In allem, was der Schöpfer geschaffen hat, steckt ein Teil seines Geistes“, sagt Hardisty. „All das würde ewig leben, wenn es keine Menschen gäbe. Was ist also unsere Rolle und Verantwortung?“
Auf einer Kiste neben uns sehe ich ein Dokument mit der Aufschrift „ZUR SOFORTIGEN FREIGABE“. Darin wird die Philosophie des Widerstandscamps dargelegt, die auch Hardistys Frage beantwortet:
„Wir sind das Volk, wir sind das Land, und als solches tragen wir die Verantwortung, Mutter Erde zu schützen, zu behüten und als das Heiligste für kommende Generationen zu erhalten. Wir haben nie aufgegeben, wer wir sind und was uns gegeben wurde, und wir haben die Verantwortung gegenüber unseren Gesetzen nicht aufgegeben.
Einzelne, im Gesetz über indigene Bevölkerungen (Indian Act von 1876) ernannte Häuptlinge, Delegierte und Ältestenräte, die als staatliche Institutionen auf Bundesebene anerkannt sind, sind nicht Träger dieser Befugnisse.“
Das ist nicht die Position aller Anishinaabe.
"Die beiden Weltanschauungen kollidieren"
Nachdem die Gruppe das Camp Morning Star gegründet hatte, wurde sie sofort von der Königlich-Kanadischen Berg-Polizei (Royal Canadian Mountain Police, RCMP), überwacht. Aus Dokumenten, die im Rahmen des Informationsfreiheitsgesetzes dem Briarpatch Magazine (hier erschien der Artikel im englischen Original, Anmerkung der Redaktion) zur Verfügung gestellt wurden, geht hervor, dass die RCMP das Camp über einen Zeitraum von etwa sechs Wochen genau beobachtete und Informationen über die Aktivitäten der Gruppe sammelte. Währenddessen hat Camp Morning Star eine Vielzahl von Besucher*innen beherbergt, darunter Umweltschützer*innen und Oberschüler*innen.
Anfangs waren einige Gemeindemitglieder optimistisch, weil CPS versprach, Hunderte von Arbeitsplätzen zu schaffen. Anfang November 2022 beantragte das Unternehmen jedoch bei der Provinzregierung eine „Änderung“, mit der das Projekt nicht mehr Fracking-Sand, sondern Glassand produzieren würde. Der Unterschied im Herstellungsprozess schlägt sich vor allem in der Größe der Körner und der chemischen Zusammensetzung des Sandes nieder, denn Glassand hat einen extrem hohen Quarzgehalt. Mit dieser Umstellung verlagerte CPS die Aufbereitungsanlage von Hollow Water in die zwei Stunden davon südlich gelegene Stadt Selkirk – und damit auch die Arbeitsplätze.
Viele Einheimische sind der Meinung, dass das Projekt immer weniger Vorteile bringt, je länger es sich hinzieht. Trotz des anhaltenden Widerstands der Gemeinde haben CPS, der Häuptling und der Ältestenrat von Hollow Water die Macht, die Mine voranzutreiben und damit – aus Sicht der Widerständler*innen des Camps – die Rechte der Gemeinschaft zu beschneiden. „Warum sollte es eine kleine Personengruppe geben, die über uns hinweg alles entscheiden kann?“, fragt McCarron. „Wie kann das lokale Selbstverwaltung sein?
Für die Mitglieder des Camps ist die Tatsache, dass das Unternehmen die Mine ohne ordnungsgemäße Konsultation errichten konnte, ein Beweis für Kanadas andauernde koloniale Realitäten.
„Das ist die Wiederkehr des Kolonialismus“, sagt McCarron. Sie betont, dass die Europäer*innen, als sie nach Nordamerika kamen, keine Bäume sahen: Sie sahen Papier und Harze. Sie sahen keinen Boden: Sie sahen Ackerland. Sie sahen keine Berge: Sie sahen Rohstoffe, die ausgebeutet werden sollten. Die Europäer*innen betrachteten alles durch die Linse der Kommerzialisierung. „So sehen die Leute aus dem Westen die Dinge, aber wir brauchen ein Gleichgewicht mit der Natur wie in der indigenen Weltsicht. Diese beiden Weltanschauungen kollidieren.“
Während der Kolonisierung versuchte die kanadische Regierung, die Kulturen und Weltanschauungen der Ureinwohner*innen auszulöschen. Durch repressive Maßnahmen wie das Gesetz über indigene Bevölkerungen, die Einrichtung von Reservaten und Internaten sowie das Passsystem beging der kanadische Staat einen Ethnozid, ein Auslöschen der Kulturen der indigenen Völker von der einen Küste bis zur anderen.
Die kanadische Regierung zwang den indigenen Völkern auch ein Häuptlingssystem auf. Für die Anishinaabe bedeutete dies, dass ihr traditionelles Clansystem unterdrückt wurde, da das Gesetz über indigene Bevölkerungen nur politische Vertretungen anerkennt, die aus gewählten Häuptlingen und Räten bestehen – Beamt*innen, die, wie dieses Sand-Abbau-Projekt zeigt, die Rechte der Gemeinschaft aufkündigen können, wie sie wollen.
Die Aushöhlung der traditionellen Regierungsführung, gepaart mit Gesetzen zur Förderung der Rohstoffgewinnung unter anderem, hat es dem kanadischen Staat ermöglicht, indigene Gemeinschaften ins Abseits zu drängen, während er ihren lokalen natürlichen Reichtum ausbeutet.
"Nichts anderes als Greenwashing"
Seit Februar 2019 hat das Camp Morning Star Unterstützung von Organisationen wie der Manitoba Energy Justice Coalition (Manitoba Energiegerechtigkeits-Koalition), der Securing Indigenous Peoples‘ Rights in the Green Economy Coalition (Koalition zur Sicherung der Rechte der indigenen Völker in einer Grünen Wirtschaft) und der internationalen Organisation Cultural Survival (Kulturelles Überleben) erhalten.
Das Camp stößt allerdings auch auf den Widerstand einiger Menschen in der Gemeinde. Nach Angaben von Mitgliedern wurde das Camp zweimal niedergebrannt. Sie sagen, dass Lance Wood, ein Betreuer in Hollow Water, seinen Job verloren hat, nachdem er das Camp Morning Star unterstützt hatte (Mitglieder des Camps legten gegen seine Entlassung bei der Arbeitsbehörde von Manitoba Berufung ein, verloren jedoch). Sie sagen auch, dass die Lehrerin Kateri Phillips wegen ihrer Unterstützung für das Camp Morning Star fast von ihrer Stelle an der Schulbehörde (Frontier School Division) entlassen worden wäre, aber ihr Direktor unterstützte sie.
Die Spannungen haben in den letzten Jahren nachgelassen, da CPS darum kämpft, Investitionen für das Projekt zu gewinnen. Doch werden die Auseinandersetzungen wahrscheinlich weitergehen, sobald die Mine in Betrieb genommen wird. Keiner der Hauptkritikpunkte der Gruppe – Rechte nach Abschnitt 35 der Verfassung, Luftqualität, Wasserqualität – wurde angemessen berücksichtigt.
In dem Dokumentarfilm von Kevin Settee sagt Marcel Hardisty, dass für die Aktiven der Quarzsand ein Filter für das Wasser sei, er sei ein Erhalter des Wassers. Mit dem Minenprojekt – so fügt eine Aktivistin hinzu – würden 150.000 Liter Wasser pro Tag für die Produktion verbraucht. Dabei bräuchten doch die Bewohner*innen dieses Wasser.
Trotz dieser Bedenken hinsichtlich der Rechtsmäßigkeit der Umweltverschmutzung hat die Regierung von Manitoba das Projekt als Meilenstein für Kanadas nachhaltigen Wandel bezeichnet. Bei der Bekanntgabe der Genehmigung der Mine im Februar 2024 erklärte die Ministerin für Umwelt und Klimawandel, Tracy Schmidt: „Manitoba hat die Möglichkeit, eine führende Rolle im Bereich der sauberen Energie zu spielen.“
Die Mitglieder des Camps glauben das nicht. „Zu sagen, dass sie mit diesem Minenprojekt saubere Energie gewinnen würden, ist Greenwashing“, sagt MJ McCarron.
Abgesehen von den vielen sozialen und ökologischen Problemen im Zusammenhang mit der Mine sollen nach Plänen von CPS jede Stunde zwei bis drei Lastwagen mit Sand den Standort verlassen – was zweifellos bedeutende Emissionen verursachen wird. Dann wird das in Selkirk hergestellte Solarglas den über 1.000 Kilometer weiten Weg zu einer Solarpanel-Fabrik im US-Bundesstaat Georgia transportiert. Zudem trägt das Projekt zu den Bemühungen der Regierung Biden bei, China durch „Onshoring“, also die Verlagerung der Hightech-Produktion von China in den „Westen“, zu umgehen. In der Tat hat die Regierung von Manitoba den Sand aus Wanipigow als erfolgreiches Beispiel für Onshoring angepriesen: „Das Projekt […] wird Länder wie die Vereinigten Staaten ansprechen, die auf Onshore-Produktion setzen.“
Zum Entsetzen der Camp-Aktivist*innen wurde das Projekt auch als beispielhaft für die Versöhnung mit den indigenen Völkern bezeichnet. CPS erhielt sogar eine Auszeichnung für Versöhnung vom Prospektions- und Explorationsverband Manitobas.
Da sich Kanada als wichtiges Rohstoffland positioniert, stehen die Regierungen der indigenen Völker zunehmend unter Druck, die Rohstoffvorkommen zu erschließen. Das Gleiche gilt weltweit: 54 Prozent der Rohstoffe, die für die Energiewende benötigt werden, befinden sich auf oder in der Nähe von indigenem Land. Die Unternehmen drängen die kanadischen Landesregierungen, den Abbau dieser Rohstoffe zu beschleunigen. Im industriefreundlichen Canadian Mining Journal schreiben Jon Wojnicki und Lance Mortlock, dass Verzögerungen bei der Minenerschließung „unser Bestreben, in diesem Sektor in der von den USA geführten Initiative gegen Chinas Dominanz mitzuspielen, massiv behindern“.
Die Dynamik rund um Camp Morning Star – fehlende Konsultationen, ökologische Bedrohungen, soziale Spannungen, Geopolitik – ist ein Mikrokosmos sowohl für den Raubbau des kanadischen Staates als auch für die globale Dynamik des Rohstoffrausches insgesamt.
Analysten wie Christopher Pollon, Autor von „Pitfall: The Race to Mine the World’s Most Vulnerable Places“ (Fallstrick: Das Rennen um die Ausbeutung der verletzlichsten Orte der Welt), haben darauf hingewiesen, dass der Übergang zu „sauberer Energie“ die Dynamik des kapitalistischen Extraktivismus reproduziert, also jene Form der Ökonomie, die ohne Rücksicht auf Natur oder dort lebende Menschen Rohstoffe ausbeutet. Die lokale Handlungsfähigkeit wird untergraben, während die Gewinne den Großunternehmen zufließen. Gleichzeitig wird die Umwelt, einschließlich ihrer menschlichen und nicht-menschlichen Bewohner*innen, in vielfältiger Weise geschädigt.
Diese Realität wirft die folgende Frage auf, die von Alexandra Pedersen, der Ko-Vorsitzenden von MiningWatch Canada, formuliert wurde: „Wer entscheidet, welche Orte – oder wessen Häuser – für die ‚grüne‘ Revolution geopfert werden? […] Wie kommen wir an die Rohstoffe, die wir für unsere heutige Zivilisation benötigen, ohne die Umwelt zu zerstören, ohne politisch fragile Staaten zu gefährden und ohne die Rechte indigener Völker und die der Schwächsten der Gesellschaft zu verletzen?“
Das Camp Morning Star setzt seinen Widerstand fort und macht auf die Bedingung der Konsultation und der freien, vorherigen und informierten Zustimmung der betroffenen indigenen Bevölkerung aufmerksam. Die Aktivist*innen planen, in Zukunft mehr Studierende aufzunehmen und sie über die traditionellen Lehren der Anishinaabe zu unterrichten. Das Camp möchte auch Basisorganisationen aus ganz Manitoba in einem provinzweiten Workshop zusammenbringen, um Erfahrungen und Ratschläge für den Umgang mit der Bergbauindustrie auszutauschen. Dieses Thema wird mit der steigenden Nachfrage nach wichtigen Rohstoffen in Nordamerika immer dringlicher. Derzeit gibt es in Manitoba vier aktive Minen, aber 68 Projekte mit Schätzungen zu Rohstoffvorkommen oder Explorationsgenehmigungen.
„Ich glaube nicht, dass wir auch nur die Hälfte dessen, was auf uns zukommt, schon gesehen haben“, sagt McCarron.
Die kanadische Regierung betont regelmäßig die Notwendigkeit der Versöhnung mit den indigenen Völkern, aber die Mitglieder des Camps befürchten, dass diese Versöhnung nur auf der Ebene der Rhetorik stattfindet.
Wie, so fragen sie, kann die Bundes- oder Provinzregierung eine Versöhnung anstreben, wenn kollektive Vertragsrechte außer Kraft gesetzt werden, wenn Gefahren für die Gesundheit und die Ökologie drohen, wenn Provinz und Land weiterhin von kolonialen Gesetzen regiert werden, die auf die Rohstoffgewinnung ausgerichtet sind?
Wenn sich nichts ändert, können wir in den kommenden Jahren viele Protestcamps wie das Camp Morning Star erwarten.
Zum Autor
Owen Schalk ist ein junger kanadischer Autor aus dem ländlichen Manitoba. Er veröffentlichte „Kanada in Afghanistan: Eine Geschichte des militärischen, diplomatischen, politischen und medialen Versagens, 2003-2023“ und ist Co-Autor des Buches „Kanadas langer Kampf gegen Demokratie“ (gemeinsam mit Yves Engler).
gewaltfreieaktion.de-Redakteur Stephan Brües hat ihn auf einer Reise nach Guatemala im Mai 2024 kennengelernt. In der internenWhatsApp-Gruppe hat Owen Schalk den Text geteilt.
Die englische Originalfassung dieses Artikels wurde am 22. Juli 2024 im Online-Magazin Briarpatch (deutsch: Dornendickicht) veröffentlicht.
Dort finden sich andere Fotos. Diese schienen der Redaktion jedoch nicht aussagekräftig genug. So sind die hier ausgewählten Fotos Screenshots aus dem 16-minütigen Dokumentarfilms „The Lake Winnipeg Project: Camp Morning Star“ von Kevin Settee. Dieser hat der Redaktion von gewaltfreieaktion.de per E-Mail die Erlaubnis zur öffentlichen Nutzung gegeben. Thanks for that.