Von Martin Arnold
Anfang April 1968 war ich Student und gemeinsam mit einem Geschichtswissenschaftler, der eine Begleitung brauchte, auf dem Weg nach Taizé, Frankreich, zur Osterfeier. Wir saßen im Auto und hörten Nachrichten, als die Meldung kam: Dr. Martin Luther King ist ermordet worden. Mein Begleiter verfiel sofort in tiefe Traurigkeit. Ich aber war schockiert, verwirrt, denn ich wusste kaum etwas über Dr. King. Ich war konservativ erzogen, seine Reden und sein Wirken waren mir bis dahin unbekannt.
Damals fragte ich mich: Warum macht es diesen Mann so traurig, dass jemand fern in den USA ermordet wurde, von dem ich nie gehört hatte? Ich schwieg – aus Unsicherheit, aus Unwissenheit.
Erst später begriff ich: Es war nicht „irgendein Mann“ in Amerika, es war Dr. Martin Luther King – eine herausragende Persönlichkeit, ein Mensch, der durch seine Taten und seine Vision weltweit Hoffnung gab.

Diese Hoffnung für die Welt manifestierte sich nicht zuletzt in der Verleihung des Friedensnobelpreises an ihn im Jahre 1964. Der Vorsitzende des Nobel-Komitees, Gunnar Jahn, sagte: ”Heute, da die Menschheit im Besitz von Atomwaffen ist, ist die Zeit gekommen, Waffen und Kriegsgerät beiseitezulegen und auf die Botschaft von Martin Luther King zu hören, die er uns durch seinen unbewaffneten Kampf für die Rechte der Schwarzen Bürger*innen überbracht hat.” (eigene Übersetzung von der Homepage des Friedensnobelpreiskomitees).
In Deutschland wurde Dr. Martin Luther King – besonders in kirchlichen Kreisen, im Religionsunterricht und an Universitäten – hoch verehrt. Vor allem seine berühmte Rede „I have a dream“, gehalten 1963 in Washington, hat sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt: die Vision einer Welt, in der Menschen nicht nach der Farbe ihrer Haut, sondern nach dem Charakter beurteilt werden.

Dr. Martin Luther King verband seine Vision von einer gerechteren Welt mit der Streitkunst Gandhis, der Methode aktiv gewaltfreien Handelns, die zugleich auf innerer Haltung und konkreten Aktionsformen beruht. Der Inder formte dafür den neuen Begriff satyagraha (sprich „Satjāgrah), deutsch „Festhalten an der Wahrheit“, „Gütekraft“; Dr. King: „strength to love“, Stärke zu lieben.
Oft wird im Gedenken an Dr. Martin Luther King vergessen, dass seine Vision nicht allein auf Worten ruhte. Er war ein Praktiker der Gewaltfreiheit, der Gandhis Methoden in den USA erfolgreich anwandte. Sein Wirken zeigt uns – und das war für mich eine besonders wichtige Botschaft, die er in seinem Hauptwerk „STRENGTH TO LOVE“ entfaltet hat: Gewaltfreiheit ist mehr als der Verzicht auf Gewalt. Mit der aktiven, gestaltenden Kraft des Widerstands gegen soziale Missstände erreichten viele zusammen mit Dr. King wesentliche gesetzliche und praktische Verbesserungen bis hin zum Wahlrecht der Schwarzen in den USA. Der spannende Film „Selma“ zeichnet den Einsatz und den Erfolg exemplarisch nach.
"Gewaltlosigkeit oder Nicht-Existenz"
Ich mag Alarmismus nicht. Was bedeutet es, dass die Weltuntergangsuhr am 28. Januar 2025 so nah wie nie: auf 89 Sekunden vor Mitternacht gestellt wurde?
Dr. King war mehr als nur eine beeindruckende Stimme für die Rechte der Schwarzen Bürger*innen in den USA. Seine Haltung und seine kreativen Aktionen voller Kraft, aus Liebe heraus zu handeln und mit Mitgefühl und Respekt vor dem politischen Gegner dessen unrechtes Handeln zu bekämpfen, um ihn zum Mitstreiter für Gerechtigkeit zu gewinnen, wurden und sind bis heute für viele zum inspirierenden Vorbild geworden.
Ja, das Nobel-Komitee hat es erkannt: Diese Möglichkeiten bilden den notwendigen Ausweg aus der Gefahr der Selbstzerstörung der Menschheit.
Dr. King zeigt viele davon in seiner letzten Rede exemplarisch auf und bringt es auf den Punkt: „Es gibt in dieser Welt keine Wahl mehr zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit. Entweder Gewaltlosigkeit oder Nicht-Existenz.“
George Orwell drückte es so aus: „Es erscheint zweifelhaft, ob die Zivilisation einen weiteren größeren Krieg aushält, und es ist zumindest denkbar, dass der Ausweg in non-violence liegt.“
Zum Todestag von Dr. Martin Luther King möchte ich nicht nur an den großen Redner erinnern, sondern an den streitbaren Menschen, von dem wir lernen können, wie aktive Gewaltfreiheit / ziviler Widerstand / gewaltfreie Aktionen als konkrete Handlungspraxis mit innerer Haltung wunderbar stark sein können.
Möge uns das Vermächtnis von Dr. Martin Luther King weiterhin inspirieren.
Zum Autor
Dr. Martin Arnold ist Redakteur von gewaltfreieaktion.de.