Von Gudrun Sailer (leicht bearbeitet von der Redaktion)
Das Katholische Institut für Gewaltfreiheit wurde am 29. September 2024 auf Initiative von Pax Christi International gegründet (siehe dazu unser ausführlicher Beitrag).
Im Gespräch sagte der Innsbrucker katholische Sozialethiker Wolfgang Palaver, Präsident von Pax Christi Österreich, dass das Institut das Ziel habe, „Gewaltfreiheit stärker in der Lehre und Praxis der Kirche zu verankern“. Weiterhin erklärte Palaver: „Natürlich haben wir schon im Vorbild von Jesus Christus und vielen historischen Beispielen Spuren der Gewaltfreiheit, aber dass die Gewaltfreiheit wirklich im Zentrum kirchlicher Lehre und Praxis steht, ist eine neue und sehr gute Entwicklung innerhalb der katholischen Kirche. Das muss institutionell, strukturell und durch entsprechende Infrastruktur gefördert werden.“
Gewaltfreiheit ist aktiv, nicht passiv
Gewaltfreiheit ist, wie der Friedensethiker Wolfgang Palaver verdeutlichte, sowohl eine Kommunikationsmethode als auch eine Lebenshaltung. Sie lasse sich erlernen und brauche Training. „Es ist eine Lebenshaltung und zielt auf einen positiven Frieden, der nicht nur die Abwesenheit von Gewalt und Krieg meint, sondern auch die Überwindung sozialer Ungerechtigkeit. Dafür muss gekämpft werden. Und die Art und Weise, wie ein guter Kampf für Gerechtigkeit ausschaut, ist die aktive Gewaltfreiheit.“
Palaver wies im Interview ein falsches Verständnis von Gewaltfreiheit zurück: „Oft wird diese in der christlichen Tradition missverstanden als Wehrlosigkeit oder Nichtwiderstand, ein Sich-dem-Bösen-nicht-Entgegensetzen. Aktive Gewaltfreiheit ist eine Form des Widerstandes, allerdings ohne Gewaltmittel. Aktive Gewaltfreiheit bedeutet, für Gerechtigkeit einzutreten.“
Gegen die Unsicherheit in kriegerischen Zeiten
Durch den groß angelegten Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, der seit Februar 2022 andauert, habe sich nach Palavers Beobachtung auch innerhalb der katholischen Kirche die Wahrnehmung dessen, was ethisch gut und richtig ist, verschoben. Viele seien „jetzt auf Distanz zur Entwicklung der katholischen Friedenslehre gegangen“, hat der Friedensethiker beobachtet.
„Sie meinen, dass Papst Franziskus mit seiner Betonung der Gewaltfreiheit und seiner Distanzierung vom Konzept des gerechten Krieges naiv sei, und dass man zu den alten Konzepten zurückgehen müsse. Ich halte das für falsch. Aber nicht im Sinn eines naiven Glaubens, dass man mit gewaltfreien Mitteln Putins Armee entgegentreten könnte, sondern dass man auch versteht: Gewaltfreiheit muss vorbereitet sein. Gewaltfreiheit – das sagen uns die historischen Beispiele – braucht genauso Training und Vorbereitung wie militärischer Widerstand. Zum Teil hat es in der Ukraine an dieser Vorbereitung gefehlt.“
Er selbst sei seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges „ein Verteidiger von Papst Franziskus und seiner Friedensethik“, erklärte der Theologe. „Die Kirche und religiöse Führer haben eine andere Aufgabe als politische Ordnungskräfte. Irgendjemand muss in der Welt immer wieder das größere Ziel des Friedens vor Augen halten und es auch betonen. Nicht in der naiven Auffassung, dass man kapituliert, das wird Papst Franziskus oft fälschlicherweise unterstellt, dass er Kapitulation befürwortet, aber das ist nicht seine Position – er hat selbst Waffenlieferungen in die Ukraine nicht grundsätzlich abgelehnt.“
Gerade in einer Lage, wo im deutschen Sprachraum Kriegstüchtigkeit und „Kriegsfähigkeit“ gefordert werden, brauche es die Stimme jener, die dazu aufrufen, den Horizont des Kriegs zu überwinden. „Und diese Aufgabe bleibt für uns und bleibt angesichts der Zerstörungskraft heutiger Waffen höchst notwendig, denn wenn das nicht gelingt in den nächsten Jahren, dann kann das furchtbar enden.“
Verbindung zur Weltsynode der Katholischen Kirche
Der Zeitpunkt der Gründung des Instituts war nach den Worten von Wolfgang Palaver bewusst gewählt: Am 2. Oktober begann in Rom die zweite und letzte Sitzung der Weltsynode. Sie endet am 27. Oktober.
Das Vorbereitungsdokument zu dieser Weltsynode erwähnt Gewaltfreiheit zwei Mal ausdrücklich, so Palaver. Zum einen gehe es um die offene Frage, „wie viel oder wenig Gewaltfreiheit in der Friedensethik nötig ist“, zum anderen um „die Einsicht, dass Gewaltfreiheit ein fundamentaler Bestandteil des synodalen Prozesses ist, des Zuhörens, des Aushaltens von unterschiedlichen Meinungen: Das braucht eine Haltung der Gewaltfreiheit.“
Dieser Artikel von Gudrun Sailer erschien am 30.09.2024 bei Vatikan News. Die Redaktion hat ihn geringfügig redaktionell bearbeitet.
Siehe auch den ausführlichen Beitrag zur Gründung des Katholischen Instituts für Gewaltfreiheit.
Zur Autorin und ihrem Gesprächspartner
Gudrun Sailer ist eine österreichische Journalistin in Rom, Vatikanstadt; sie schreibt u.a. für katholisch.de und Radio Vatikan.
Wolfang Palaver war bis zu seiner Emeritierung 2023 Professor für Christliche Gesellschaftslehre an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck. Dieses Jahr erschien sein jüngstes Buch „Für den Frieden kämpfen. In Zeiten des Krieges von Gandhi und Mandela lernen“. Er ist Präsident von Pax Christi Österreich.
Die Redaktion dankt Wolfgang Palaver und Gudrun Sailer für die Möglichkeit, diesen Text zu übernehmen.