Interview mit dem Maya-Q’eqchi‘-Journalisten Carlos Choc

Nach den Präsidentschaftswahlen in Guatemala 2023 gelang es der guatemaltekischen Bevölkerung einen Coup abzuwehren. Carlos Choc spricht am 28.11.2024 in einem Interview über seine Eindrücke von den Protesten und die Spiritualität der Maya.
Hier ist das Titelbild zu sehen. Es zeigt einen Blick auf die bewaldete Region Petén im Norden Guatemalas. Durch die Wipfel ragen die Ruinen der antiken Maya-Stadt Tikal.
Ruinen der antiken Maya-Stadt Tikal in der Region Petén im Norden Guatemalas (Foto: Flickr, Lizenz CC0)

Die Fragen stellte Kevin Kaisig am 28.11.2024. Er ist Redakteur bei gewaltfreieaktion.de

Kevin: Bei den Präsidentschaftswahlen 2023 in Guatemala gewann relativ unerwartet ein Kandidat der Opposition. Doch dann gab es viele Versuche, ihn daran zu hindern, das Amt des Präsidenten anzutreten. Es folgten große Proteste in ganz Guatemala. Wie hast du diesen Machtwechsel wahrgenommen?

Carlos: Das, was du ansprichst, ist wirklich eine sehr schöne Geschichte und ich bewundere mein Volk sehr dafür. Ich bin sehr stolz auf die Bevölkerung Iximulews [der Name für die Heimat der Maya, d. Redaktion]. Wo auch immer ich bin, ich identifiziere mich sehr mit dem indigenen Volk der Maya. Es gab einen Widerstand von mehr als 105 Tagen, einen Generalstreik, um dem Staat, den Großunternehmer*innen und dem organisierten Verbrechen zu zeigen, dass wir vereint sind, dass wir auf die Straße gehen und dass sie sich gegen den Willen der Bevölkerung nicht durchsetzen können.

Als die Wahlen im Jahr 2023 begannen, hatte das System, hatte das Bündnis aus Rohstoffindustrie, organisiertem Verbrechen und Großgrundbesitzern bereits seine Kandidat*innen auserkoren. Sandra Torres sollte die Präsidentschaft übernehmen. Das war klar. Aber irgendwie ist es Arévalo gelungen, in die Stichwahl zu kommen. Damit hatten sie nicht gerechnet. Im Wahlkampf für die Stichwahl haben sie also eine Verleumdungskampagne gegen Arévalo gestartet. Eine intensive Kampagne, in der sie behaupteten, Arévalo, wenn er denn gewinnt, würde den Leuten das Land und ihre Häuser wegnehmen und sie den Armen geben. Auch religiöse Akteur*innen haben sich an der Kampagne beteiligt, redeten schlecht von ihm und behaupteten, wenn Arévalo gewinnt, werden Menschen gleichen Geschlechts heiraten können.

Hier ist ein Bild zu sehen. Es zeigt Carlos Choc während eines Interviews in Guatemala im Jahr 2024.
Carlos Choc im Jahr 2024 (Foto: Stephan Brües)

Carlos: Die Diskriminierung und der Rassismus waren so stark, dass viele völlig aus dem Zusammenhang gerissene Dinge gesagt wurden. Doch trotz alledem gewann Arévalo in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen und damit auch seine Bewegung Semilla, Saatkorn. Als Arévalo gewonnen hatte, blieb nur die Möglichkeit, die Staatsanwaltschaft zu nutzen, um einen bürokratisch-juristischen Staatsstreich durchzuführen. Doch wir gingen auf die Straße, um dagegen zu protestieren. Alle Journalist*innen sagten, das ist ein Staatsstreich. Wir haben mit Analyst*innen gesprochen. Ich habe die Ältestenräte befragt und auch sie sagten, das ist ein Staatsstreich. Sie wollen Arévalo nicht als Präsidenten zulassen. Die Auseinandersetzung dauerte bis in den Tag hinein, an dem Arévalo die Macht übernehmen sollte. Hier in Iximulew, in Guatemala, wird die Macht immer am 14. Januar um 14 Uhr von einem zum nächsten Präsidenten offiziell übertragen. Es handelt sich um eine Zeremonie mit dem Austausch der Präsidentenschärpe, usw. Aber in diesem Fall war es 14 Uhr, dann 15 Uhr, dann 17 Uhr und noch immer war nichts passiert.

Währenddessen haben sich die Leute versammelt. Es gab ein großes Fest. Der Hauptplatz von Guatemala-Stadt, der Parque Central, war voller Leute: Mitglieder der Ältestenräte, der indigenen Bevölkerung, die darauf warteten, zu feiern. Es war bereits 23 Uhr und noch immer war nichts passiert. Viele Gerüchte machten die Runde. Und tatsächlich schienen die Mächtigen zum Äußersten bereit. Es ging das Gerücht um, dass ein Teil der Armee geschickt werden sollte, um Angst zu verbreiten und um zu verhindern, dass Arévalo das Präsidentenamt übernimmt. Als die Leute das erfuhren, marschierten sie zum Kongress und umzingelten ihn. Als das Volk ankam, begannen sich die Dinge entscheidend zu wandeln. Während die Polizei um 14 Uhr noch sehr aggressiv aufgetreten ist, wurde sie nun deutlich zurückhaltender.

Um 17 Uhr war der Polizei nur eines klar: dass sie nicht mehr wusste, wer der Chef war, aber dass es auf jeden Fall illegal war, wenn sie weiterhin Alejandro Giammattei unterstützen würde. Das könnte sehr nachteilig für sie sein. Die Polizei hat also ihre Präsenz stark reduziert. Es gab weniger Repressionen und mehr und mehr Leute kamen auf die Straße, um friedlich zu demonstrieren. Alles war friedlich! Es gab keine Gewalt. Und dann um Mitternacht, fast um 1 Uhr morgens übernimmt Bernardo Arévalo schließlich die Macht. Wir als Journalist*innen waren sehr, sehr müde [für weitere Hintergründe zu den Protesten siehe diesen Artikel].

Demonstration für die Amtsübernahme der gewählten Präsidenten Bernardo Arévalo und Vizepräsidentin Karin Herrera, Fotocollage: Prensa Comunitaria
Demonstration für die Amtsübernahme der gewählten Präsidenten Bernardo Arévalo und Vizepräsidentin Karin Herrera, Fotocollage: Prensa Comunitaria

Kevin: Wie hat sich die Situation nach der Amtsübernahme durch Arévalo entwickelt?

Carlos: Als Arévalo sein Amt antrat, änderten sich viele Dinge und die aufgeheizte Stimmung im Land begann sich zu beruhigen, so wie das vom Wind aufgepeitschte Wasser, wenn der Sturm verzieht. Aber im Grunde war es nur ein Moment. Denn die alte Regierung organisiert sich neu. Arévalo ist Präsident und die Partei Semilla hatte für kurze Zeit den Vorstand des Kongresspräsidiums inne. Doch dann wurde das Kongresspräsidium neu gewählt und die Verhältnisse änderten sich bereits ein Stück weit.

Die Ältestenräte und die Bevölkerung, die Maya, die Xinca und die Garífuna sind auf die Straße gegangen, um Bernardo Arévalo zu verteidigen. Und in der aktuellen politischen Krise verteidigen sie ihn weiterhin. Die Ältestenräte sagen, Semilla ist nicht unsere Partei, aber wir wollen, dass sie den Willen des Volkes respektieren. Das Volk hat gewählt und das Volk hat entschieden. Wenn wir wirklich in einer Demokratie leben, dann müssen alle respektieren, dass Arévalo Präsident ist.

Aber es gibt weiterhin Drohungen gegen ihn. Es gibt sogar ein Ermittlungsverfahren gegen Arévalo. Es wurde von der Sonderstaatsanwaltschaft gegen Straflosigkeit (FECI) beantragt und der Kongress hat das letzte Wort darüber, ob das Verfahren aufgehoben wird oder nicht. Es gibt also viele Wege, um Arévalo zu schwächen und zu diffamieren. Und allein die Tatsache, dass sie die Armee einschalten wollten, ist ein Grund zu großer Sorge. Wir haben eine Generalstaatsanwältin, Consuelo Porras, die korrupt und antidemokratisch ist. Das sage nicht ich als Journalist. Sie steht auf der Engel-Liste der USA. Weitere Akteur*innen wie die Staatsanwält*innen Rafael Curruchiche und Cinthia Monterroso stehen auf dieser Liste und werden auch von der Europäischen Union sanktioniert. Das hilft, um weiterhin die Dinge klar benennen zu können. Denn die Ältestenräte und die Maya werden weiterhin den Willen der Bevölkerung und das, was letztes Jahr an der Wahlurne entschieden wurde, verteidigen.

Es kann also jederzeit zu Rückschlägen kommen. Die Repression gegen Justizbeamt*innen geht weiter. Ein prominentes und schlimmes Beispiel ist die Richterin Erika Aifán, die sechs Jahre Vorsitzende des Gerichtshofs D für Kapitaldelikte war und in dieser Funktion Korruptionsfälle mit Verbindung in die Politik verhandelte. Sie ist wegen Morddrohungen ins Exil in die USA gegangen. Ein ähnlicher Fall ist der des Richters Miguel Ángel Gálvez, der nachdem er Ex-Militärs und Polizeikräfte verurteilt hatte, ins Exil gegangen ist. Andererseits werden Verurteilte wieder freigelassen: so zum Beispiel der ehemalige Präsident Guatemalas Otto Pérez Molina [Er war wegen Beteiligung an einem Zollbetrug nach Protesten des Volkes 2015 zurückgetreten, während des gesamten Verfahrens in U-Haft, 2022 zu 16 Jahren Haft verurteilt, allerdings noch nicht rechtskräftig; im Januar 2024 wurde er gegen hohe Kaution auf freien Fuß gesetzt. d. Red.] oder der Politiker Manuel Baldizón [Ein ehemaliger Präsidentschaftskandidat. Er wurde 2019 wegen Geldwäsche zu 50 Monaten Haft in den USA verurteilt, 2022 an Guatemala ausgeliefert, wo weitere Anklagen gegen ihn wegen Bestechung angestrengt wurden; sein Parlamentarierdasein schützt ihn momentan vor einer Strafverfolgung. d. Red.]. Dieser Kampf geht also bis heute weiter. Und ich hoffe, dass im November bei den Wahlen in den USA die demokratische Partei gewinnt. Wenn die republikanische Partei gewinnt, werden sie aggressiver gegen Arévalo vorgehen. Wenn die demokratische Partei gewinnt, wird Arévalo weiterhin die Unterstützung der USA haben. Leider können wir hier nicht allzu viel Gutes über die USA sagen, aber es ist nun mal so.

Kevin: Was hat es möglich gemacht, einen Staatsstreich in Guatemala zu verhindern? Du hast erwähnt, dass das Volk geeint aufgetreten ist. Es gab massive Proteste von vielen Menschen. Und sogar die Polizei konnte beruhigt werden. Es gab also weniger Repression. Und die Geopolitik hat vielleicht eine Rolle gespielt, der Druck von anderen Regierungen.

Carlos: Ich denke, wir müssen anerkennen, dass wenn die Bevölkerung nicht getan hätte, was sie getan hat und was sie weiterhin tut, der Staatsstreich nicht hätte verhindert werden können. Es ist schrecklich, dass die Ultra-Rechten immer das durchsetzen konnten, was sie wollten. Man denke an die Geschichte, die Diktaturen und das Militär zurück. Die Rechten haben uns in diesem Land immer regiert. Aber in diesem Fall ist der Erfolg keiner Regierung zuzuschreiben, sondern eindeutig dem Volk. Denn es war unglaublich! Die Demonstrationen, die ich dokumentiert habe, waren ein absolut friedlicher Generalstreik. Wo auch immer in Guatemala du warst, du kamst nicht mehr vom Fleck. Niemand konnte sich mehr fortbewegen. Es sei denn es war ein Notfall, dann wurden die Leute durchgelassen, Rettungswagen und Lebensmitteltransporte wurden durchgelassen, aber ansonsten niemand. Alle mussten sich daranhalten und auch wenn du eigentlich in die Arbeit musstest, blieb nur mitzumachen, denn allen war klar: entweder wir retten das Land jetzt oder wir gehen alle unter.

Die gesamte Bevölkerung hat das verstanden. Deswegen gab es bei jeder Demonstration Zumba-Kurse, Tanzkurse, es gab politische Vorträge, politische Schulungen. Es gab Kochkurse, das heißt, es war im Grunde ein großes Fest. Jedes Mal, wenn wir Journalist*innen ankamen, wurden wir willkommen geheißen und uns wurde Essen angeboten. Es gab eine Menge Essen, das die Leute mitgebracht hatten. Und es waren nicht etwa von der Europäischen Union bezahlte Leute, die an dem Generalstreik teilnahmen, wie immer mal wieder behauptet wurde. Nein, es war die Bevölkerung selbst. Und auch ich als Journalist habe mein Essen mitgebracht und dort mit den Leuten gegessen. Die guatemaltekische Diaspora in den USA unterstützte uns mit allen Kräften, damit wir weitermachen konnten. Denn für einen Generalstreik mussten viele Dinge gekauft werden, Lautsprecher zum Beispiel. Und vor allem vor dem Gebäude der Generalstaatsanwaltschaft gab es jeden Tag Demonstrationen, eine große Feier und es wurde getanzt. Aber es war eine gesunde Feier. Es gab keine alkoholischen Getränke und in einigen Nächten wurden Zeremonien abgehalten. Ich glaube, es war ein Erfolg, weil die Leute auf die Straße gegangen sind.

Indigene Formen des Protestes, Collage: Prensa Comunitaria
Indigene Formen des Protestes, Collage: Prensa Comunitaria

Kevin: Das klingt so, als hätte die Bevölkerung das Zusammenleben so gestaltet, wie sie es sich für die Zukunft des Landes vorstellte.

Carlos: Ja, wir haben uns kennengelernt! Viele haben mir zum Beispiel gesagt: „Ich kenne dich aus den sozialen Netzwerken. Ich habe dich im Fernsehen gesehen.“ Oder: „Ich kenne dich schon seit Jahren.“ Leute, die für dieselben Sachen kämpfen, haben sich kennengelernt. Leute, die normalerweise nicht auf die Straße gehen, die gezögert hatten. Aber dieses Mal beim Generalstreik sind wir alle auf die Straße gegangen und wir als Journalist*innen waren auch dabei, um zu berichten. Wir waren sehr glücklich, denn die Stimmung war sehr schön. Wie gesagt, es gab kulturelle Veranstaltungen. Es war ein großes Fest. Die Leute haben sogar Sport gemacht. Es gab kleine Meisterschaften, Fußball bzw. Futsal-Meisterschaften. Du konntest also von Viertel zu Viertel gehen, um mitzuspielen. Es war eine große gemeinschaftliche Erfahrung, ein intensives Gemeinschaftsleben.

Kevin: Ein Vertreter des indigenen Volkes der Lakota, Milo Yellow Hair, seinerseits auch Menschenrechts- und Umweltaktivist, sagte einmal, dass die Beziehung, die wir zur Natur haben, darüber entscheidet, wie wir andere Menschen behandeln bzw. wie wir andere Menschen behandeln können. Das scheint mir eine tiefgründige Aussage zu sein und ich beobachte, dass du eine besondere Verbindung mit der Natur hast. Ich habe das Gefühl, dass wir hier diese Art der Beziehung mit der Natur nicht mehr kennen. Du sprichst auch von den Ältestenräten und der Verbindung mit den Ahnen, und ich würde gerne wissen, da du auch schon in Deutschland warst, wie du das siehst.

Carlos: Sehr interessant! Junge Leute an einer Universität in Hamburg haben mich auch gefragt, ob das Leben hier vollkommen anders ist und ob es spirituelle Erfahrungen nur dort gibt. Kann ich hier meine Spiritualität überhaupt praktizieren?

Zunächst möchte ich ein bisschen beschreiben, wie das bei uns ist. Wir als indigenes Volk, als Mayas, danken jedes Mal, wenn wir an bestimmte Orte gehen, der Mutter Erde und wir bitten unsere Ahnen, uns zu begleiten. Wir bitten auch die Schutzgeister der Berge, die Tzul Taká, uns zu beschützen. Wenn ich also an meine Geschichte denke – ich hatte zwei Haftbefehle und sollte ins Gefängnis gesteckt werden – aber ich bin nie ins Gefängnis gegangen. Dann hängt das auch damit zusammen, dass wir diesen spirituellen Kontakt haben. Nach unserer Philosophie sind wir der Auffassung: „Gut, wenn ich rechtschaffen handle, wenn ich die Dinge richtig mache, wie kann ich dafür bezahlen und zum Beispiel ins Gefängnis gehen? Das wäre nicht richtig!“

Also nehmen wir über das Feuer Kontakt mit unseren Ahnen auf. Wir sprechen mit ihnen und bitten sie uns zu beschützen und uns zu helfen, damit wir nicht zu Märtyrern werden, damit uns nicht Ungerechtigkeit widerfährt. Unsere Energie und Kraft entsteht und tritt hier in Erscheinung. Wenn wir unsere Heimat verlassen und andere Länder durchwandern, bitten wir auch unsere Ahnen um Erlaubnis. Und so fühle ich mich willkommen, wenn ich hierher nach Deutschland komme. Ich fühle mich willkommen, weil ich mich wie zuhause fühle. Warum? Zunächst, weil ich um Erlaubnis gebeten habe. Aber auch, weil es hier viele Wälder gibt, viele Parks, viel Wasser. Das ist dieselbe Energie, die wir seit jeher in Iximulew haben. Ich nehme diese Energie wahr, ich fühle sie, wenn ich mich bewege. Ich fühle mich wie zuhause, weil ich diese Energie nicht nur dort fühlen und weitertragen kann, sondern auch hier. Obwohl hier natürlich das System ganz anders ist und viel mehr darauf ausgerichtet ist zu sehen, was in der Gegenwart passiert. Und natürlich sind auch die politischen Themen andere.

Ich fühle mich glücklicher in meiner Heimat. Doch das ändert nichts daran, dass es hier viel Energie, eine große Kraft der Mutter Erde gibt. Denn ich sehe die Felder, die Obstgärten und das ist sehr schön, sehr kraftvoll! Doch ihr seht es nicht aus der Perspektive der Maya oder der indigenen Völker. Ihr seht den Park als etwas Schönes an, als einen Ort des Zusammenlebens. Mir gefallen die Parks sehr, denn es gibt Bäume und zahlreiche von ihnen sind viele Jahre alt. Ich kann sie fühlen. Und ich erkenne, dass ihr einen Teil dessen habt, was wir dort haben, und das macht mich glücklich. Eure Perspektive ist anders, aber es wäre nur ein kleiner Schritt anzufangen es zu sehen, es mehr zu genießen und mehr in Kontakt mit der Mutter Erde zu kommen. Wenn es regnet, beschweren wir uns nicht. Obwohl der Klimawandel auch in unserem Land und in unseren Dörfern katastrophal ist. Wenn es regnet und wir nass werden, genießen wir es, weil wir wissen, dass uns der Regen von allen schlechten Energien und Schwingungen reinigt.

Eines Tages, als ich hier in Deutschland hinausging, um den Regen zu spüren, sah ich ein junges Paar, das Hand in Hand ging, pitschnass und barfuß. Ich habe mich sehr gefreut, sie zu sehen! Ich dachte, vielleicht sehen sie es nicht so wie wir – bei uns ist das sehr präsent – aber sie tun es und das ist wichtig. Sie genießen das Leben! Es gibt also hier Ansätze von dem, wie wir die Dinge sehen. Und ich finde es wichtig, das Leben zu genießen oder es auch so zu sehen wie wir. Es ist nicht nur das Barfußlaufen. Ich laufe nicht nur barfuß, sondern über den Kontakt mit der Mutter Erde gewinne ich meine Energien zurück. Ich stelle eine Verbindung mit ihr her, die mir Weisheit gibt, die meine Gedanken fließen lässt, mich entspannt und mich Stress abbauen lässt. Es freut mich sehr über dieses Thema mit dir und auch mit anderen zu sprechen!

Kevin: Das ist schön, wie du diese Verbindung und Einheit beschreibst.

Carlos: Wir als Indigene, als Maya in Iximulew identifizieren uns sehr als Aharalchots. Das heißt Sohn oder Tochter von Mutter Erde. Und ein sehr schönes Element unserer Sprache ist, dass sie keine Geschlechter kennt. Der Plural, oder von Menschengruppen zu sprechen, ist für uns überhaupt nicht kompliziert. Wir können nicht von den Journalisten oder den Journalistinnen sprechen, wir reden immer von allen. Ich habe darüber mit Akademikern debattieren müssen, die mich fragten auf welcher Grundlage ich gegen die grammatikalischen Regeln verstoße, wenn ich das ins Spanische übertrage. Mein Argument war stets meine Muttersprache. Ich kann diese Unterscheidung in meiner Muttersprache nicht ausdrücken. Deshalb, denke ich, ist es sehr wichtig, dass wir unsere Wurzeln kennen, nur so können wir andere Kulturen kennenlernen.

 

Es handelt sich um einen Auszug aus dem Interview mit Carlos Choc. Das ganze Interview kann hier nachgehört werden.

Hintergrundinformationen:
Forbidden Stories: Mining Secrets
Peace Brigades International: Strafverfahren gegen Carlos Choc eingestellt

 

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