von Ulrich Wohland
Wer schnell und fundiert etwas über die „Letzte Generation“ und ihre Konzepte erfahren will, hier findet er oder sie einen leichten Zugang.
Die Autorin, eine der Gründer*innen dieser Bewegungsorganisation, ist aktivistisch full-time unterwegs und schreibt nebenbei in Oxford ihre Doktorarbeit zu zivilem Widerstand.
Gleichwohl ist es ein persönliches Buch, ohne privatistisch anzubiedern. Was wir über Herkunft und Lebensplanung von Lea Bonasera erfahren, hilft uns, ihr Engagement zu verstehen und motiviert zur Nachahmung.
Wissenschaftlich relevante Literatur zum Thema ziviler Widerstand reflektiert zu überblicken und gleichzeitig in einer verständlichen Sprache zu schreiben, ist nicht der geringste Vorzug dieses Buches. Selten genug gelingt es Aktivist*innen, reflektierte Texte im Lichte aktueller Theorien zu produzieren und Wissenschaftler*innen, praktisch relevante Literatur zu verfassen. Hier kommt beides zusammen. Im besten Sinne von Bourdieu wird hier an einer „Theorie der Praxis“ geschrieben, mit leichter Hand und leicht verständlich, aber immer fundiert.
Die Klimabewegung seit „Ende Gelände“, über „Fridays for Future“ bis zu „Extinction Rebellion“ und „Letzte Generation“ zeichnet sich durch eine intensive Beschäftigung mit der Literatur zu den Möglichkeiten des zivilen Widerstandes aus. Ergebnisse dieser Theoriearbeit fließen kontinuierlich in die Praxis ein. Hier findet kumulatives soziales Lernen in der Verbindung von Praxis und Theorie statt.
Klingt banal, ist es aber nicht. Angesichts der Herausforderungen und Bedrohungen durch den Klimawandel ist dies bitter nötig. Schließt sich doch allmählich das Möglichkeitsfenster zur Veränderung. Wir müssen die sozial-ökologische Transformation angesichts drohender klimatischer Kipppunkte rascher auf den Weg bringen als die Veränderungen vergangener Jahre, z. B. der Atomausstieg. Für ihn wurde 50 Jahre gekämpft.
Erfreulich ist, dass neben der Erklärung der umstrittenen aktuellen Aktionspraxis von Letzter Generation in dem Buch Themen angesprochen werden, die im Bewegungsdiskurs hierzulande ein eher stiefmütterliches Dasein fristen.
Da ist zum einen die Rolle von Verhandlungen mit dem Gegenüber, den Entscheider*innen in Politik und Wirtschaft. Sowohl das „Weiter so“ beim CO2-Ausstoß als auch Entscheidungen für mehr Klimaschutz werden von Menschen, von Entscheider*innen getroffen. Diese gilt es zu gewinnen.
In der Geschichte der sozialen Bewegungen in Deutschland wird häufig gegen Missstände protestiert, aber selten mit der Zielsetzung, dass die Bewegungsorganisationen direkt mit den Gegner*innen in Verhandlungen treten. Gerade angesichts der Tatsache, dass im Bundestag oder den Aufsichtsräten selten Fürsprecher*innen der Bewegungsthemen sitzen, ist eine eigene Verhandlungskompetenz von Bewegungsorganisationen notwendig. Damit steht Bonasera ganz in der Tradition von Gandhi und M.L. King, die immer mittels Aktionen die Verhandlungsebene auf Augenhöhe gesucht haben. Bonasera eröffnet hier die Debatte und verweist auf erste, durchaus ambivalente eigene Erfahrungen in Gesprächen mit Scholz und Habeck beim Hungerstreik 2021 [Lea Bonasera war dem Hungerstreik des Aktivisten Henning Jeschke beigetreten, um die Regierung zu zwingen, konkretere Maßnahmen zum Klimaschutz zu ergreifen, d. Red.].
Soll die sozial-ökologische Transformation gelingen, müssen die Säulen der Macht einer Gesellschaft, wozu z. B. Justiz, Politik, Polizei, Medien, Kirchen usw. zählen, von innen heraus unter Druck gesetzt und transformiert werden.
Disruptive Aktionen alleine auf den Straßen können eher eine Schließung und verstärkte Abwehrhaltung dieser Mächte bewirken. Zurecht verweist Bonasera darauf, dass hier die Literaturlage zum strategischen Vorgehen eher dünn und weitere Forschung erforderlich ist.
In einem eigenen Kapitel hebt Bonasera hervor, welche Bedeutung die Beteiligung von unterschiedlichen Gruppen im Widerstand spielen. So ist es empirisch gestützt, dass z.B. die „Beteiligung von Frauen einen positiven Effekt auf den Erfolg des zivilen Widerstandes“ hat. Die wichtige Rolle von Frauen, Trans- und queeren Menschen im zivilen Widerstand wird hervorgehoben.
Und anders als z. B. in der [US-]Bürgerrechtsbewegung [der 1950er und 1960er Jahre, d. Red.] (mit ihrer strukturellen Diskriminierung und Unsichtbarmachung von Frauen und Schwulen) wird bei der Letzten Generation, so Bonasera, darauf geachtet, das wichtige Positionen von „unterschiedlichen Menschen“ besetzt werden.
Auch das Phänomen Burnout, angesichts extremer Belastungen der Aktiven, wird thematisiert. Denn selten war für Aktive in den sozialen Bewegungen die Zeit so knapp und die Herausforderung so groß, Veränderungen zu bewirken, wie beim Thema Klima.
Denn wir alle sind, ob wir es wollen oder nicht, die letzte Generation. Das Buch macht Mut und gibt Orientierung zum Handeln. Also lesen – unbedingt!
Zum Autor
Ulrich Wohland arbeitet ehrenamtlich bei der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion Baden und ist Initiator der Ausbildung „Campapeace“. Er verdient sein Geld als Moderator, Coach, Campaigner und Kommunikationstrainer und unterstützt das Medienprojekt gewaltfreieaktion.de.