Buchbesprechung von Stephan Brues
Handbücher zu gewaltfreien Aktionen müssen nicht langweilig und humorlos sein. Das zeigen die beiden Bücher, die ich hier und an anderer Stelle vorstelle.
Dieser erste Artikel dreht sich um das Buch des Aktivisten von Otpor, Srdja Popovic, der es mit seinen Mitstreiter*innen im Jahre 2000 geschafft hat, den autoritären Präsidenten Slobodan Milosevic zu Fall zu bringen.
Das Buch zeigt anhand von sehr konkreten Beispielen aus dem Trainerleben des Srdja Popovic in vielen Teilen dieser Welt, wie gewaltfreier Widerstand gegen autoritäre Regime funktionieren kann.
Dabei spielt Humor eine durchaus wichtige Rolle. Es lässt sich damit inhaltlich, nicht sprachlich oder vom wissenschaftlichen Anspruch her, einordnen in die Dissertation von Majken Jul Sörensen über Humorvolle politische Kunststücke: Die gewaltfreie, öffentliche Herausforderung der Macht (Humorous Political Stunts: Nonviolent Public Challenges to Power), ein Werk, das auch eine Rezension verdienen würde.
Weiterhin reiht es sich inhaltlich ein in die englischsprachigen Handbuch für Gewaltfreie Kampagnen (Handbook for Nonviolent Campaigns, 2014) von War Resisters International, Globaler Aktivismus (Global Activism), herausgegeben von Peter Weibel (Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe 2014) und in das Buch Ziviler Widerstand (Civil Resistance) von Erica Chenoweth (2021). Während das erste ein Handbuch für Aktivist*innen ist, das zweite ein Bild- und Essay-Band über die Kunst des Aktivismus, ist das dritte eine Art akademisches FAQ rund um das Thema des zivilen und gewaltfreien Widerstands.
Das Buch von Popovic ist unter diesen Büchern zweifellos das persönlichste.
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Gewaltfreier Regimesturz ist möglich
Srdja Popovic, Mitbegründer von Otpor und aktuell Berater für gewaltfreie Bewegungen beim Zentrum für angewandte gewaltlose Aktion und Strategien (CANVAS), hat ein kurzweiliges, sehr persönliches, trotzdem auch tiefer gehendes Buch über gewaltfreie Revolutionen geschrieben. Popovic ist ein ideologischer Freigeist, der Tito liebt, die Freiheit, die liberale Demokratie und die soziale Marktwirtschaft und der kein prinzipieller Pazifist ist, sondern ein rationaler Gewaltfreier (Gewaltfreiheit funktioniert, Gewalt nicht!).
Ausgehend von seinen Erfahrungen beim Sturz von Slobodan Milosevic und seinen Workshops mit gewaltfreien Widerstandsgruppen in Ägypten, Syrien, Burma, den Malediven, der Ukraine und Georgien gibt er zusammen mit Matthew Miller eine systematische ‚Anleitung‘ für den Sturz autokratischer Regime und Schritte zu mehr Demokratie. Dabei meint ‚Anleitung‘ keine Blaupause für alle politischen Situationen dieser Welt, sondern einen Werkzeugkasten, der je nach Umständen und politischer Kultur unterschiedlich angewandt und dadurch zum Erfolg verhelfen kann.
Der verständliche Widerstand nutzt Symbole
Besonders wichtig ist Popovic, dass sich die Widerstandsgruppe nicht von der Volksmeinung absetzt, sondern sich auch deren Forderungen annimmt.
Forderungen oder Slogans müssen von diesen verstanden und geteilt werden. So kritisiert Popovic den Namen und Slogan „Occupy“, da er nur eine einzig mögliche Aktionsform benennt, die zudem viele Menschen eher abschreckt. Im Gegensatz dazu könne etwa der Name „99 %“ bzw. der Slogan „Wir sind 99 %“ auch einen Farmer im Mittleren Westen der USA oder einen Angestellten in Frankfurt-Höchst für die Ziele der Bewegung ansprechen. Die Bewegung richtet sich insbesondere gegen die Megareichen, die lediglich ein Prozent der Weltbevölkerung ausmachen.
Gandhi hat beim Salzmarsch eine symbolträchtige Aktion genutzt, die zum einen ein kleiner Schritt (Meilenstein) hin zur Entkolonialisierung war (Beendigung des Salzmonopols), auf der anderen Seite aber Aktionen möglich machte, die alle nachvollziehen konnten. Auch das Symbol des Spinnrads hat den Menschen auf einen Blick nahegebracht, worum es Gandhi ging: Selbstorganisierung, Autonomie und einfaches Leben.
Das Symbol der Faust, das Otpor verwendet hat, mag auf den ersten Blick nicht sehr friedvoll aussehen, aber die Jugendlichen fanden sie cool und so hat es die Massen zu friedlichem Widerstand mobilisiert.
Aber zurück zu den Werkzeugen.
Werkzeuge des Widerstands
Popovic nennt diverse Werkzeuge, die einen Widerstand zum Erfolg führen können.
Da ist zum einen die Entwicklung einer Zukunftsvision und zum anderen eine Strategie, die aus Aktionen besteht, die aufeinander aufbauen und die Vision umsetzen wollen. Zum dritten gehört eine Taktik dazu, d.h. die Entwicklung und Umsetzung von jeweils für den Kontext geeigneten Aktionen. Über die Zukunftsvision und Strategie sollte sich die Bewegung darüber hinaus einig sein. Die Aktionen sollten systematisch vorbereitet werden, zugleich aber flexibel sein und Improvisationen zulassen.
In Bezug auf die Aktionen ist es wichtig, gewaltfreie Trittbrettfahrer*innen bei Massenaktionen abzuwehren. So haben wir beim G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 oder beim NATO-Gipfel in Strasburg 2009 die gewalttätigen Auseinandersetzungen erleben müssen, die die Anliegen der Demonstrierenden überlagert und diskreditiert haben.
Schließlich müssen die Aktiven des Widerstands in der Lage sein zu erkennen, wann der Erfolg da ist, und wann eben noch nicht. In Ägypten war Mubarak gestürzt, aber noch nicht die Säulen autoritärer Macht. Selbst wenn die Regent*innen gestürzt sind, muss die Bewegung an der Entwicklung einer Demokratie weiterarbeiten und die neue Regierung überwachen, um Rückschritte und Machtmissbrauch zu verhindern.
Mit Spaß die Angst vor den Mächtigen vertreiben
Bei der Strategie ist Humor als Waffe für Popovic besonders wichtig: Humor ist zum einen motivierend für die Aktiven, zum anderen ist er wichtig, um die Angst vor der autoritären Macht zu verlieren. Humor ist ein erster psychologischer Schritt, um an den sogenannten Säulen der Macht im Sinne von Gene Sharp zu rütteln. Nach Sharp beruht die Macht einer Regierung oder eines Regimes vor allem auf der Zustimmung der Bevölkerung und auf der Kooperation von wichtigen gesellschaftlichen Institutionen und Organisationen, wie z.B. den Medien, der Armee, der Polizei, der Justiz, der Universitäten, der Gewerkschaften, usw. mit dem Regime.
Mittels des Humors soll die Furcht und Passivität, die in autoritären und repressiven Systemen herrscht, abgebaut werden.
Das zeigt das Beispiel aus Belgrad: Aktive bemalen ein Fass mit der Karikatur von Milosevic. Das Fass bringen sie in die Fußgängerzone. Einen Knüppel stellen sie daneben. Ein Schlag, ein Dinar (damals zwei Cent). Die Aktiven sitzen nebenan im Café und schauen sich das Geschehen an. Aus dem Lächeln beim Anblick der Karikatur Milosevics wird ein Lachen, aus dem Lachen wird Mut, den Knüppel zu nehmen und das Fass zu verdreschen.
Und was macht die Polizei? Ihr bleibt nur, das Fass zu ‚verhaften‘, denn auf ein Fass zu hauen, ist in Serbien nicht verboten. Also muss das Fass entfernt werden. Und die Angst der Menschen wird geringer.
Die Lektüre nicht nur dieser Teile macht einfach ungeheuren Spaß. Und das ist nicht nur für die Befindlichkeit der Aktivist*innen wichtig, sondern der Spaß selbst kann – wie wir anhand vieler Beispiele in dem Buch lernen – ein Faktor für den Erfolg von gewaltfreien Revolutionen sein. Er kann den Menschen eines der wichtigsten Hindernisse für Aktivitäten nehmen: die Angst.
Das Buch hört sehr persönlich auf: Popovics Lieblingsmusiker, Peter Gabriel, spielt in Belgrad und zeigt die Faust von Otpor. Und Popovic, der das live sieht, steigen die Tränen der Rührung und der Freude in die Augen. Gewaltfreie Revolutionen sind emotional.
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Fazit
Popovics Buch ist insgesamt sehr angelsächsisch verfasst: locker, persönlich, überhaupt nicht intellektuell oder verkopft. Jede*r Aktivist*in kann dieses Buch verstehen – und das ist angesichts der Notwendigkeit, möglichst viele Menschen zum Engagement zu bewegen, wichtig.
Manche*r mag die eine oder andere politische Einschätzung von Popovic nicht teilen, vor allem seine mangelnde Kritik an den USA oder der EU, aber das schmälert meines Erachtens nicht den hohen Wert dieses Buches: Es vermittelt, dass gewaltfreie Aktion wirkt. Sofern sie trainiert wird. Sofern sie dem kulturellen und politischen Kontext angepasst ist.
Die Prinzipien, die Popovic aufstellt, basieren theoretisch nicht nur, aber doch weitgehend auf Gene Sharp: Sie unterscheiden Strategie und Taktik, setzen auf konsequente Gewaltfreiheit und kulturell angepasste Aktionsformen. Aktionen müssen verständlich sein, sollen sie mehr als die üblichen Aktivist*innen ansprechen. Schließlich stellt sich der Erfolg vor allem dann ein, wenn es viele Aktive gibt, Chenoweth/Stephan (2011) sprachen in ihrer Studie Warum Gewaltfreier Widerstand funktioniert (Why Nonviolent Resistance works) von drei Prozent der Bevölkerung.
Daher setzt Popovic auf Massenaktionen. Daher sind Symbole der Gemeinschaft und einfach zu verstehende Aktionsformen für ihn so wichtig, um Erfolge zu generieren.
Darin unterscheidet sein Buch sich von den weniger umstürzlerischen Zielen, die in dem Buch von Boyd/Mitchell namens ‚Beautiful Trouble‘ (dt.: Wunderschöner Aufruhr) aufgeführt werden.
Spannend wäre es im Übrigen, dieses Buch zu aktualisieren: In den letzten zehn Jahren ist viel passiert, neue Aktionsformen sind entwickelt worden, neue Bewegungen sind entstanden. Popovic arbeitet noch immer bei CANVAS, bereist weiterhin die Welt der gewaltfrei Aktiven und trainiert sie. Viele neue Geschichten könnten erzählt werden und bei den alten könnte analysiert werden, was aus ihnen geworden ist, warum sie erfolgreich waren oder auch nicht.
Protest!
Wie man die Mächtigen das Fürchten lehrt
Autor*innen: Srdja Popovic, Matthew Miller
Verlag: FISCHER Taschenbuch
ISBN: 978-3-596-03377-5
Übersetzt von: Jürgen Neubauer
240 Seiten
Erscheinungstermin: 20.08.2015