Handbücher zu gewaltfreien Aktionen müssen nicht langweilig und humorlos sein. Das zeigt auch das zweite Buch, das ich hier vorstelle.
Es ein Buch, das von Aktiven für Aktive konzipiert ist und mögliche Wege des Widerstands aufzeigt. Wie bereits das zuvor rezensierte Buch von Srdja Popovic hat auch dieses einen gewissen Fokus auf den Humor im gewaltfreien Widerstand und präsentiert viele Beispiele aus der Praxis des Aktivismus. Es führt einige Beispiele auf, die zur Dissertation von Majken Jul Sörensen über „Humour in the nonviolent resistance“ passen.
Weiterhin reiht sich auch „Beautiful Trouble“ inhaltlich ein in das „Handbook for Nonviolent Campaigns“ von War Resisters International (2014), in das Buch „Global Activism“, herausgegeben von Peter Weibel (Zentrum für Kunst und Medien, Karlsruhe 2014) und in das Buch zu „Civil Resistance“ von Erica Chenoweth (2021). Während das erste ein Handbuch für Aktivist*innen ist, das zweite ein Bild- und Essay-Band über die Kunst des Aktivismus, ist das dritte eine Art akademisches FAQ rund um das Thema des zivilen und gewaltfreien Widerstands.
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Taktiken
Bei den Taktiken, also der Umsetzung von Strategien, werden neben Besetzungen, Streiks, Flash Mobs oder unsichtbarem Theater, auch „Hoaxes“, (s.u.), „kreative Störungen“ und „prophetische Interventionen“ aufgeführt. Die letzten drei werde ich näher erläutern, da sie weniger bekannt sind.
„Hoax“ entspricht im Deutschen etwa dem Wort Schabernack. Mit gefälschten Meldungen werden Aktivitäten von Konzernen oder Regierungen behauptet, die diese gar nicht gemacht haben und vor allem nicht machen wollen. In Deutschland arbeitet das Zentrum für politische Schönheit gerne mit solchen Aktionsformen, Beispiel: „Deutschland nimmt 55.000 syrische Kinder auf“ (s.u.).
Bei Störaktionen ist ein Prinzip wichtig: zeigen statt erklären. Während einer Rede der Kongresspräsidentin Nancy Pelosi in der Zeit des Irakkriegs standen Aktivistinnen von Code Pink mit Schildern vor ihr, die zeigten, was Pelosi nicht sagte: die Milliarden Dollar, die für diesen Krieg ausgegeben wurden. Eine zweite Ebene der Kommunikation wird eröffnet, ein Subtext wird öffentlich gemacht.
Die verschiedenen Ebenen von „Taktiken“, „Prinzipien“ und „Theorien“ werden am Rande der Seiten immer wieder durch Querverweise miteinander verknüpft – wie in einem guten Lexikon.
Und es gibt leere Seiten, in denen die Leser*innen selbst eine Taktik, ein Prinzip oder eine Theorie festhalten können – deren Anwendung, deren möglichen Fallstricke und deren Schlüsselprinzipien.
Die Schlüsselprinzipien werden in dem Buch leider sehr unsystematisch präsentiert. Ich würde sie in fünf Oberpunkte einordnen: Organisationsstruktur, Strategien, Methoden, Gewaltfreiheit und Kommunikation. Sie können an dieser Stelle nicht alle aufgeführt werden.
Zwei Fallbeispiele
Besonders wichtig ist den Autoren das Prinzip, diejenigen einzubeziehen, die am meisten von der Ungerechtigkeit, auf die sich die Aktivität bezieht, betroffen sind. So geschah es in dem Fallbeispiel der Yes-Men zu Bhopal. Dort war 1984 aus einer Chemiefabrik von Union Carbide, heute zu Dow Chemical gehörend, ein Gemisch mit Methylzyanid ausgetreten. 25.000 Menschen starben, eine halbe Million wurden durch die giftigen Gase verletzt oder dauerhaft geschädigt.
Die Yes-Men haben versucht, die unsichtbaren Opfer dieser Katastrophe sichtbar zu machen. Anlässlich des 20. Jahrestages trat 2004 ein Aktivist als angeblicher Pressesprecher von Dow Chemical (Prinzip „Darstellen kann jede*r“) in den Medien auf mit der Mitteilung, dass sich der Chemiekonzern für die verheerenden Auswirkungen des Unfalls entschuldigt und Entschädigungen in Aussicht stellt. Darauf musste Dow-Chemical reagieren.
Ähnlich machte es in Berlin das Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) mit seiner Aktion von 2014 „Die Bundesregierung rettet 55.000 syrische Kinder“. Es gab eine falsche Pressemitteilung heraus und fälschte eine Webseite der Familienministerin Manuela Schwesig, auf der diese angeblich mitteilte, dass sie 55.000 Kinder aus dem kriegsgeschüttelten Syrien herausholen werde, verbunden mit dem Aufruf, Kinder aus Syrien aufzunehmen. Vorbild waren die Kindertransporte jüdischer Kinder nach Großbritannien 1938/39, die knapp 10.000 jüdische Kinder retteten.
Damit wurde in beiden Aktionen ein gewünschtes Ereignis quasi in die Realität gesetzt, eine Methode, die prophetische Intervention genannt wird. Aus „man müsste doch … die Opfer von Bhopal entschädigen oder die Kinder in Syrien aus dem Kriegsgeschehen holen“ wurde eine gefälschte Pressemitteilung und Webseite, die genau diese emotionale und politische Haltung als eine mögliche Realität nachstellte. Und den Konzern oder die Regierung dazu zwang, sich dazu zu verhalten.
Was kritisch anzumerken wäre, ist, dass beide Aktionen zwar zu kurzzeitiger medialer Aufmerksamkeit und Irritation bei Konzern bzw. Regierung geführt haben, in der Sache aber offenbar wenig verändert haben. Die Fabrik in Bhopal ist bis heute nicht dekontaminiert, für die weiterhin sichtbaren Folgen für die Menschen heute gibt es keine Entschädigungen. Auch die Bundesregierung hat zwar die Anzahl der aufgenommenen Kinder aus Syrien von 5.000 auf 10.000 erhöht, von einer ernsthaften Aufnahme im Sinne des ZPS kann jedoch keine Rede sein.
Beide Aktionen werden in den Fallbeispielen ausführlich dargestellt und die bei ihr angewandten Prinzipien und Taktiken aufgeführt, z.B. die prophetischen Interventionen oder das Prinzip ‚Darstellen kann jede*r‘ oder die Opfer einer Ungerechtigkeit sichtbar zu machen. Die Frage des Erfolgs macht das Buch allerdings an der Aufmerksamkeit für das Thema fest, nicht ob tatsächlich etwas für die Betroffenen verbessert worden ist. Das ist unbefriedigend.
Bei diesen wie den anderen Fallbeispielen gibt es übrigens Querverweise zu den im Theorieteil aufgeführten Theorien. Begriffe wie Allmende, Interventionspunkte, kulturelle Hegemonie oder Säulen der Macht werden knapp, gut verständlich und praxisorientiert erklärt.
Fazit
Zusammenfassend ist Beautiful Trouble kein akademisches Buch, sondern ein Buch für Aktivist*innen, sprachlich manchmal etwas flapsig, aber nicht oberflächlich. Ein Lexikon für politischen Aktivismus. Aber unwiderstehlich? Das ist die Frage. Denn die erwähnten Aktionen konnten letztlich nur ein paar Nadelstiche setzen. Sie bringen ein Schmunzeln hervor, sie regen zu eigenen Aktionen an. Nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. So stellt das Buch mögliche Aktionsformen vor, um den Prozess einer gewaltfreien Revolution voranzubringen.
Im Gegensatz zu dem rezensierten Buch von Srdja Popovic, bei dem es um den Sturz von Regimen ging und eine gewisse Anzahl Aktiver benötigt werden, sind die Ziele bei den von Boyd/Mitchell vorgestellten Aktionen von Boyd/Mitchell weniger umstürzlerisch. Dieser Unterschied führt dazu, dass wenige Aktive wie etwa die beiden von Yes-Men (plus ein paar PR-Verantwortliche) oder die Handvoll Personen vom ZPS medienwirksame Aktionen starten, um die Adressat*innen zum Handeln zu bringen.
Insofern ergänzen sich die beiden Bücher und sind auf ihre je eigene Art inspirierend.
Im Übrigen sollte das Buch aktualisiert werden, denn in den letzten zehn, zwölf Jahren ist viel passiert, neue Aktionsformen sind entwickelt worden, neue Bewegungen entstanden. Neue Troublemaker sozusagen. Viele neue Geschichten sollten erzählt und bei den alten analysiert werden, was aus ihnen geworden ist, warum sie erfolgreich waren oder auch nicht.
Beautiful Trouble – Handbuch für eine unwiderstehliche Revolution
Herausgeber: Andrew Boyd und Dave Oswald Mitchell
Verlag: Orange Press
ISBN: 978-3-936086-73-7
Übersetzt von: Stephanie Fahrner, Corinna Rodewald und Ulrike Sterblich
240 Seiten
Erscheinungstermin: 2015.
20 € (es gibt auch preiswertere Angebote).