von Judith Schäfer
Vorbemerkung
Judith Schaefer wohnt in der Arche-Kommunität Friedenshof in Neustadt/Rübenberge nahe Hannover. Sie ist ausgebildete Fachkraft für Friedensarbeit. Hier dokumentiert die Redaktion von gewaltfreieaktion.de ihre Rede vor Gericht.
gewaltfreieaktion.de dokumentiert persönliche Erfahrungen und Ansichten von Aktivist*innen und will damit u.a. zum Nachdenken über Aktionsformen anregen. Nach dem Beitrag von Gerd Büntzly über die Aktivitäten von Anti-Atomwaffen-Aktivist*innen in Büchel und der Rede von Ria Makein vor dem Landgericht Koblenz dokumentieren wir nun die Verteidigungsrede der Letzte-Generation-Aktivistin Judith Schaefer.
Nun also Judith Schaefers Rede vor Gericht.
Rede vor Gericht
Sehr geehrte Vorsitzende, sehr geehrte Staatsanwältin, liebe Anwesenden,
ich möchte hiermit darlegen, warum ich mich am Protest am 28.11. beteiligt habe und welche Beweggründe mich dazu veranlasst haben.
1. Die Zukunft meiner Tochter
Ein prägender Moment für mich war der 3. Geburtstag meiner Tochter Raja, ziemlich genau einen Monat vor dem besagten 28.11.2023. An diesem Tag habe ich zum ersten Mal einen Protest der Bewegung „Letzte Generation“ in Berlin erlebt. Ich fühlte mich tief bewegt, da ich mir der Auswirkungen der Klimakatastrophe, auf die wir zusteuern und die wir bereits erleben, wieder bewusster wurden. Diese werden mit großer Wahrscheinlichkeit das Leben meiner Tochter sowie ihrer Generation in erheblichem Maße beeinflussen. Dazu gehören extreme Wetterereignisse (wie wir es aktuell auch erleben), Klimamigration, Dürren und Ernteausfälle, gewalttätige Konflikte um Ressourcen sowie viele weitere Folgen, die wir derzeit nicht mit Sicherheit abschätzen können.
Bereits jetzt sterben Menschen, Tiere und Pflanzen aufgrund dieser Entwicklungen, auch wenn es nicht immer direkt vor unserer Haustür geschieht – es ist real. Vom Klimawandel stark betroffenen Regionen in Afrika, dem Mittleren Osten und Asien sind ein dringendes Anliegen. Eine Studie des Weltwirtschaftsforums, geht davon aus, dass der Klimawandel bis zum Jahr 2050 weltweit bis zu 14,5 Millionen Todesfälle allein aufgrund gesundheitlicher Folgen verursachen könnte. Meine Tochter wird dann 30 Jahre alt sein – in meinem heutigen Alter. Ich möchte ehrlich sagen, dass ich große Angst um die Zukunft meiner Tochter habe und auch um meine.
2. Das Grundgesetz und das politische (Nicht-)Handeln beim Klimaschutz
Ich wünsche meiner Tochter sehr, dass sie in einer Gesellschaft aufwachsen kann, in der Verantwortungsträger*innen das Wohl der Menschen und der zukünftigen Generation gemäß Artikel 20a des Grundgesetzes in den Vordergrund stellen:
Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.
Um es mit den Worten unserer ehemaligen Bundeskanzlerin Merkel zu sagen: “Es geht um die Grundlagen des Lebens der Generationen, die nach uns kommen.[…] Das heißt nicht mehr und nicht weniger, als dass wir im Laufe des 21. Jahrhunderts eine weitgehende Dekarbonisierung unserer Volkswirtschaften brauchen.“ (Angela Merkel, Bundeskanzlerin, auf der 21. Konferenz der Vereinten Nationen zum Klimawandel in Paris, November 2015)
Wir sind längst über die Zeit der Worte hinaus. Es ist alles gesagt. Es braucht Handeln.
Expert*innen betonen, dass die Regierung im Bereich Klimaschutz nicht ausreichend handelt, und diese Einschätzung wurde durch ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin bestätigt (Aktenzeichen OVG 11 A 22/21 und OVG 11 A 31/22).
Deshalb halte ich Proteste für gerechtfertigt, solange die Regierung keine adäquaten Maßnahmen ergreift. Der aktuelle Kurs der Klimapolitik führt zu ernsten, lebensbedrohlichen Konsequenzen!
Laut dem Bericht des Weltklimarats ist es möglich, dass wir uns heute darauf vorbereiten und Maßnahmen ergreifen können, um das Schlimmste zu verhindern. Es geht um verantwortungsbewusstes Handeln im Hier und Jetzt. Und auch, wenn unsere aktuelle Regierung behauptet „Es sei alles auf Kurs“ (vgl. Habeck 15.03.2024), möchte ich an dieser Stelle dem die Worte von Hans-Martin Henning entgegensetzten, dem Vorsitzenden des Expertenrats für Klimafragen. Er sagt nicht ganz 3 Monate nach dieser Aussage von Habeck:
„In Summe können wir die von den Projektionsdaten 2024 ausgewiesene kumulierte Zielerreichung für die Jahre 2021 bis 2030 nicht bestätigen, sondern gehen im Gegenteil von einer Zielverfehlung aus.“
3. Die Würde des Menschen
Ich möchte hier noch gerne über Würde sprechen: Das Grundrecht der Unantastbarkeit der Würde ist ein Recht, das jedem Menschen zusteht. Ich wünsche mir das sehr für meine Tochter und für alle Menschen auf dieser Erde. Dass weltweit Kinder und Menschen an Hunger, auf der Flucht oder durch Gewalt sterben, ist für mich untragbar – nichts daran ist würdevoll. Wenn es in unserer Macht steht, dieses Schicksal auch nur ansatzweise zu verhindern, sollten wir alles in Bewegung setzen, um dies zu tun. Deutschland als eine der größten Wirtschaftsmächte und hohen pro Kopf CO2 Ausstoß, steht dabei in einer besonderen Verantwortung.
Mit meinem Protest möchte ich mich für diejenigen einsetzten, die selbst keine Stimme erheben können -sei es, weil sie noch nicht geboren sind oder weniger privilegiert sind oder schlichtweg andere Lebewesen in unserem Ökosystem. Als gläubiger Mensch verstehe ich dies auch als Ausdruck der Nächstenliebe.
Die Forderungen der Aktivist*innen, wie der Stopp fossiler Investitionen, ein Tempolimit und die Einrichtung eines Gesellschaftsrats, haben mich damals überzeugt. Zwar lösen diese nicht alle Probleme, doch sie stellen einen Weg dar, wie unsere Gesellschaft Verantwortung übernehmen kann.
4. Ziviler Ungehorsam
Als ausgebildete Fachkraft für Friedensarbeit beschäftige ich mich intensiv mit gewaltfreien Konflikttransformation. Für mich ist ziviler Ungehorsam eine moralische Entscheidung und unter bestimmten Bedingungen, insbesondere nur wenn er gewaltfrei und respektvoll bleibt, eine legitime Form des Protests, vor allem dann, wenn andere Formen der Beteiligung – wie Demonstrationen, Petitionen und aktuell auch Hungerstreiks – keine Wirkung zeigen.
Die Anklage lautet Nötigung – ich bin hier angeklagt, ein Unrecht begangen zu haben – mehr noch: mich gewaltsam widersetzt zu haben. Aber ist es nicht auch ein Unrecht und Gewalt nichts zu tun, dadurch stumm ungerechte Strukturen zu stützen und wissend wegzuschauen? Für mich ein Dilemma, dem ich mich jeden Tag stellen muss.
Am 28.11.2023 habe ich mich einem Protest der letzten Generation in Berlin angeschlossen, nachdem ich mich intensiv mit der Kritik in meinem Umfeld auseinandergesetzt hatte. Die Entscheidung war nicht leicht, mich bei Winterkälte auf die Straße zu setzten. Dennoch war es mir wichtig, ein Zeichen zu setzen.
Mich festzukleben an der Straße war symbolischer Ausdruck meiner Entschlossenheit und der Dringlichkeit des Anliegens. Die Menschen waren sichtlich irritiert, dass sich hier Menschen freiwillig auf die gefrorene Straße setzten. Durch die gewählte Lage und die Form und Größe des Protests sind eine Menge guter und positiver Gespräche mit Vorübergehenden und Anwesenden entstanden, was ich im Nachhinein als gelungen bewerte. Nach meiner persönlichen Wahrnehmung war stets darauf geachtet worden, dass eine Rettungsgasse freigehalten wurde. Wie alle Proteste der letzten Generation gehört es zum Konsens, dass das Vorhalten einer Rettungsgasse Priorität hat und so war es auch bei diesem Protest.
Ich respektiere den Rechtsstaat und unsere demokratischen Grundlagen. Gerade weil wir in einer Demokratie leben, sehe ich es als notwendig an, über die aktuelle Regierungszeit hinaus zu denken und für eine nachhaltige und gerechte Zukunft einzutreten. Die Klimakrise birgt das Potenzial, gesellschaftliche Spannungen und extreme Ideologien zu fördern, was mir große Sorge bereitet. Ich fürchte um die Stabilität unserer Demokratie.
5. Aufmerksamkeit auf Klimaschutz lenken
Ich habe an diesem Protest in der Hoffnung teilgenommen, dass er die nötige Aufmerksamkeit auf das drängende Thema des Klimaschutzes lenkt und die Regierung zum Handeln bewegt. Mein Ziel war es niemals, andere Menschen in ihrer Bewegungsfreiheit dauerhaft zu behindern. Die Straße ist ein wichtiger Versammlungsort, um öffentlich wirksam auf das Thema aufmerksam zu machen und auch den Individualverkehr als Teil des Problems in dem wir uns befinden zu adressieren. Damit ist der gewählte Ort auch zentraler Teil des Charakters dieser Versammlung.
Wie auch immer die Entscheidung dieses Gerichts heute ausfallen mag, ich hoffe auf einen offenen, fairen Prozess und eine ehrliche Auseinandersetzung mit dem Thema.
Im Vorfeld zum Prozess habe ich mir Gedanken gemacht, wie ich den Prozess führen möchte. Möchte ich einen politischen Prozess, also den Widerstand vor Gericht weiterführen oder einen juristischen Prozess, also eher auf eine geringe Strafe hinarbeiten?
6. Ziel: Einstellung des Verfahrens gegen Geldstrafe
Die letzte Generation wird von vielen Jurist*innen unterstützt und ich wurde auch gut beraten. Es gibt viele Mittelwege und ich habe mich dafür entschieden, auf eine Einstellung des Prozesses nach §153a zu setzen. In meinem Fall ging es um genau eine Anklage und damit hatte ich gute Chancen. Da mein Mann Olaf entschlossen ist, den Widerstand auch in den Gerichtssaal zu tragen und keine Strafe zu akzeptieren, haben mich mehrere Aspekte dabei geleitet auf eine Einstellung zu wirken und gleichzeitig auch meine Verantwortung in meinem persönlichen Umfeld im Blick zu haben:
- In Verantwortung für unsere 4-jährige Tochter möchte ich derzeit keine Haftstrafe auf mich nehmen;
- Eine Einstellung mit einer „Wiedergutmachung“ an eine gemeinnützige Organisation kommt für mich in Frage, eine Strafe an den Staat zu zahlen nicht;
- Ich möchte gehört werden und meine Motivation in den Gerichtssaal tragen. Das bedeutet für mich, dass ich möchte, dass der Prozess eröffnet wird, die Anklage verlesen wird und meine Stellungnahme Platz findet – trotz Einstellung;
- Aufgrund von vielen laufenden Prozessen der Letzten Generation bei Landesgerichten und auch vor dem Bundesverfassungsgericht möchte ich den Solidaritätsfond der Letzten Generation nicht beanspruchen;
- Ich möchte meinen Protest solidarisch teilen und getragen wissen und darum anfallende Zahlungen in einem Crowdfunding finanzieren;
- Ich möchte mir das Knowhow aneignen, mich ggf. selbst vor Gericht zu verteidigen, aber schließe nicht aus, für meinen ersten Prozess professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen
Am Verhandlungstag wurde vor der Eröffnung des Prozesses die Einstellung ausgehandelt: 450€ an die Berliner Tafel. Ich wurde vertreten von einer Anwält:in, die/der schon viele Aktivist*innen vor Gericht vertreten hat. Dazu fielen auch zusätzliche Kosten von knapp 800€ an. Auf meinen Wunsch hin wurde die Verhandlung eröffnet und zur offiziellen Einstellung kam es erst nach meiner Einlassungsrede.
7. Crowdfunding
Nach meinem Prozess habe ich ein Crowdfunding gestartet und habe die Aktion an viele Menschen geteilt (auch an Menschen, die sehr kritisch sind). Schnell erhielt ich Unterstützung. Letztlich haben insgesamt 14 Menschen durch größere und kleinere Beiträge dazu beigetragen – auch von Menschen, die ich nicht kenne, kamen Nachrichten und Geld. Die Lebensgemeinschaft, in der ich lebe, hat mit ihrem Soli-Fond den offenen Rest des Betrages getragen. Für mich fühlt sich das gut an.
Gerade bei den Protestformen der Letzten Generation kommt oft der Vorwurf, Menschen nicht mitzunehmen, sondern eher abzustoßen. Mein Anliegen war es, dass unsere Aktion durch das Crowdfunding einen verbindenden Charakter erhält und gleichzeitig über den Gerichtsaal hinaus meine Motivation teilt.
Gleichzeitig unterstützte ich alle Aktivist*innen, die ihren Widerstand im Gerichtssaal und im Gefängnis weitergehen und werde weiterhin nicht ausschließen, dass auch ich einmal solche Wege gehen werde.
Zur Autorin
Judith Schaefer lebt in der Arche-Kommunität in Neustadt/Rübenberge bei Hannover. Sie ist gelernte Friedensfachkraft.