Gewaltfreier Widerstand in Guatemala: Maya bekämpfen internationale Bergbaukonzerne, Teil 2

Teil 2 der vierteiligen Reportage über Guatemalas indigene Widerstandsorte im gewaltfreien Kampf gegen die internationalen Bergbaukonzerne startet in La Puya. Im ersten Teil der Reportage hatte ich ja schon die Kolonialgeschichte Guatemalas und die Grundlagen des indigenen Widerstands im Land zusammenfassend vorgestellt.
Hier ist das Titelfoto 1 zu sehen. Es zeigt einen bunt bemalten Holzverschlag mit einer Jungfrau Maria und dem Spruch “La Virgen de la lucha”, deutsch: “Die Jungfrau im Wider-stand”. Rechts steht: „Sí a la vida – no a la minería” – „Ja zum Leben, nein zum Bergbau
Eindrücke aus dem Widerstandsort La Puya, Verwaltungsbezirk Guatemala. Links steht “La Virgen de la lucha”, deutsch: “Die Jungfrau des Widerstands”. Rechts steht: „Sí a la vida – no a la minería” – „Ja zum Leben, nein zum Bergbau (Foto: Stephan Brües)

Eine Reportage in vier Teilen von Stephan Brües

Teil 2: Das Widerstandsort La Puya

Bei La Puya handelt es sich um eine enge Straßenbiegung in der bergigen Hochebene Guatemalas zwischen San Pedro Ayampuc und San José del Golfo, 40 Kilometer nordöstlich von der Hauptstadt und Teil des Verwaltungsbezirks Guatemala.

La Puya  ist gleichzeitig der Eingang zur Gold- und Silbermine „El Tambor“, die ursprünglich von der guatemaltekischen Tochterfirma des kanadischen Konzerns Radius Gold, EXMINGUA, für zunächst fünf Jahre  betrieben wurde. Die Lizenz wurde 2012 an das nordamerikanische Unternehmen Kappes, Cassiday & Associates verkauft. Die Abbautätigkeit im offenen Tagebau begann 2011 und erstreckt sich über ein Gebiet von 20 km2. Insgesamt gibt es in dem Gebiet nördlich der Hauptstadt zwölf weitere Bergbauprojekte.

An dieser Straßenbiegung traf unsere Reisegruppe ein halbes Dutzend Aktive im Widerstand: Alvaro Sandoval aus San José del Golfo, Felisa Moralles aus San Pedro Ayampuc sowie Blanca Ferrera und Sandra Catalan. Viele Frauen sind aktiv. Das ist kein Zufall, wie ich noch zeigen werde.

Diese Menschen im Widerstand sagen, dass die Bevölkerung über die Bergbauaktivitäten nicht informiert worden sei. Der Oberflächen-Tagebau in offenen Gruben benötige große Mengen von Wasser. Bei dieser Form des Abbaus, so sagte es der Bergbauexperte Robert Moran, werden die dort vorhandenen Felsen gesprengt und die Felsstücke weggeräumt. Dabei entstehen Risse und Brüche, in die Wasser einsickert. Um nach dem Gold zu suchen, muss viel Wasser entnommen werden. Das Grundwasser sinkt und wird den Brunnen, die die Menschen zum Leben brauchen, entzogen. Zudem wird durch die Sprengrückstände das Wasser vergiftet.

All‘ dies erklärt, so sagt Alvaro Sandoval aus La Puya, dass sauberes Wasser in einigen Gemeinden der Region nur einmal die Woche abgeschöpft werden kann.

Robert Morán, ein Umweltingenieur, hat bereits 2014 die Umweltverträglichkeitsanalyse von EXMINGUA in einem Interview mit dem investigativen Medienportal Plaza Pública als schlechteste Studie bezeichnet, die er in 42 Berufsjahren auswerten musste. Es fehlten Zahlen über die chemische Zusammensetzung der Felsen vor dem Goldabbau und damit die wichtigsten Daten, um abschätzen zu können, welche Folgen der Bergbau auf die Umwelt haben wird.

Blockaden

Von 2012 bis 2017 haben die Bewohner*innen der Region diese Zufahrt zur Mine blockiert. Besonders heftig war das Eingreifen der Sicherheitskräfte am 23.05.2014, als die Blockierer*innen – Alte, Frauen, Kinder – mit Tränengas angegriffen wurden. 20 Menschen wurden verletzt.

Rund um die Uhr wurde die Blockade durch den regelmäßigen Wechsel der Bewohner*innen aus den umliegenden Dörfern aufrechterhalten.

Und da kommen wir zurück zum Widerstand der Frauen. Sie wurden taktisch in die vorderste Reihe vor Polizei- und Sicherheitskräften platziert, weil es männlichen Sicherheitskräften nicht erlaubt ist, Frauen wegzutragen. Frauen sind jedoch auch deshalb ganz vorne dabei, weil sie mutiger sind als die Männer, sagt Felisa Muralles augenzwinkernd. Alvaro winkt im Spaß ab; das gegenseitige Frotzeln geht noch länger weiter. „Du musst fröhlich sein, wenn du Widerstand leistest“, sagt Felisa.

Zur Gewaltfreiheit

In La Puya ergeben die Antworten der Aktivist*innen auf die Frage nach der Gewaltfreiheit, dass diese für sie eher eine Strategie als ein Prinzip ist. „Sollen wir mit Raketenwerfern hantieren oder mit Helikoptern angreifen?“, fragt Alvaro Sandoval zurück.

Er sagte auch, dass während der spanischen Kolonialherrschaft die Gewalt von den Spaniern ausgegangen sei, nicht von den indigenen Gruppen. Der Name Atanasio Tsul fällt; von ihm hatte ich in Teil 1 berichtet.

Gewalt habe negative Konsequenzen. Der Widerstand ohne Waffen muss aber auch erlernt werden: So hat es ein Training in gewaltfreier Aktion von der internationalen Organisation Protection International unter Leitung des in Guatemala lebenden Basken Xabier Zabala Bengoetxea gegeben. Dabei ging es darum, wie sich die Gemeinschaft gegen Gewalt und/oder starken Druck schützen kann und selbst keine Gewalt anwendet. Es wurden auch Beispiele aus der Geschichte der gewaltfreien Bewegungen gezeigt, etwa von Mahatma Gandhi.

Während der Blockaden, die auch jetzt noch  weitergehen, vor allem an Jahrestagen, singen die Aktiven bekannte Kirchenlieder oder die guatemaltekische Nationalhymne, um die Spannungen im Konflikt etwas zu beruhigen. Auch Kinder und Jugendliche werden einbezogen. Die katholische Kirche läutet die Glocken, um die Menschen an ihren Protest an der Biegung zu erinnern.

Rob Mercatante hat in einem Artikel von 2014  beschrieben, wie die Frauen von La Puya auf jede Beleidigung, jede Bedrohung und jeden Angriff mit Liedern, Gebeten und Mitgefühl reagiert hätten. Sie hätten für die Aufstandsbekämpfungs-Polizei, die erfolglos versucht hätten, sie mit Gewalt zu vertreiben, Essen gekocht.

Und erinnert sei daran, dass der Widerstand von La Puya mit der einsamen Aktion einer Frau begann, die ein Auto in den Weg zur Mine gestellt und so blockiert hatte.

Starker Gegendruck, aber juristischer Erfolg

Neben der Polizei haben Provokateure den Aktiven die größten Sorgen bereitet. Diese hätten in all‘ der Zeit immer wieder versucht, ihre Bewegung zu unterwandern und Gerüchte über Waffenbesitz zu streuen, um sie in ein schlechtes Licht zu rücken. Damit sollten Vorwände für Kriminalisierungen sowohl gegenüber den Aktiven als auch ihren Anwält*innen geliefert werden. Drei Aktive wurden in erster Instanz aufgrund vorgeschobener Anklagen zu neun Jahren Haft verurteilt, dann aber gegen Kaution in Höhe von 96.000 Quetzales (mehr als 10.000 Euro) freigelassen.

2021 gab es Versuche, genau jene Anwält*innen, die die Bergbaufirma wegen der Vergiftung des Wassers verklagten, anzuklagen. Einige wurden freigesprochen, andere verurteilt. Rechtschaffene Richter*innen hier, korrupte Richter*innen dort.

Zugleich aber waren die rechtlichen Verfahren gegen die unrechtmäßige Lizenzvergabe letztlich erfolgreich. Die Gerichte sagten, dass es keine legale Lizenz und auch nicht die vorgeschriebene Beratung mit den indigenen Bewohner*innen gegeben habe.

Die Mine ruht. Der Widerstand bleibt aufmerksam. Dass dies stets notwendig ist, zeigen die drei anderen Beispiele in Teil 3 (El Estor) und Teil 4 (Cerro Blanco und Escobal).

Zum Autor

Stephan Brües, ist Redakteur von gewaltfreie aktion und seit 2009 Redakteur des Guatemala-Nachrichtendienstes ¡Fijáte!. 

Er hat 1995 nach fünfmonatiger Feldforschung in Guatemala und Mexiko eine Diplomarbeit über die soziale Bewegung der Rückkehrer*innen  von Mexiko nach Guatemala geschrieben. Nach zwei weiteren Reisen dorthin hat er darüber 2010 in dem Aufsatz „Der Quetzal rief … in ein wirtschaftlich prekäres Land. Die Ambivalenz der selbstorganisierten Rückkehr der Flüchtlinge“, in dem von Nikolas Reese und Judith Welkmann herausgegebenen Sammelband „Das Echo der Migration“ reflektiert.

Er nahm zwischen dem 4. und dem 12. Mai 2024 an einer Delegationsreise der US-kanadischen Menschenrechtsorganisation Rights Action teil. Rights Acton unterstützt seit Jahrzehnten den gewaltfreien Widerstand, insbesondere gegen Bergbauprojekte in Guatemala und andere Ländern in Zentralamerika.

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