Eine vierteilige Reportage von Stephan Brües
Teil 3: Widerstandsort El Estor
Von La Puya fuhr die Reisegruppe Richtung Osten nach El Estor.
El Estor liegt am Izabal-See im gleichnamigen Verwaltungsbezirk, im Osten Guatemalas. Ein wunderschönes Fleckchen Erde direkt am größten See Guatemalas – wenn die Trockenheit nicht wäre. Menschengemacht in jedem Fall: Das sehe ich auf dem Weg zur Nickelmine von CGN, dem guatemaltekischen Nickelunternehmen, einer Tochterfirma von Hudbay aus Kanada. In der Nähe davon stehen Bananenplantagen in voller Pracht (offenbar genügend gewässert), während wenige hundert Meter daneben ein vollkommen ausgetrocknetes Flussbett auftaucht.
Der Bergbau in El Estor begann 2004 mit INCO, die die Lizenz, die ohne Befragung der Bewohner*innen vergeben worden war, zunächst an Skye Resources und 2011/2012 an Hudbay weiterverkaufte.
Wie in La Puya gab es auch in El Estor Straßenblockaden, einige Aktive demonstrierten in der Hauptstadt.
Die Gewalt gegen die indigenen Widerständler war in El Estor besonders grausam: So wurde 2009 der Aktivist Adolfo Ich Chamán (Ehemann der Anführerin des Widerstandes, Angelica Choc) von privaten Sicherheitskräften des Bergbauunternehmens CGN ermordet; 2017 wurde der Fischer Carlos Maaz durch die staatliche Polizei ermordet. Bei der Räumung einer Siedlung Lote 8 (Grundstück acht) wurden die Häuser und Felder der Bewohner*innen niedergebrannt und Frauen vergewaltigt. Und Angelica Choc’s bescheidene Hütte, die wir besuchten, wurde erst Anfang des Jahres von Unbekannten verwüstet und sie geschlagen.
Traumatische Ereignisse, die bis heute nachwirken. Die Frauen von Lote 8 berichteten unserer Reisegruppe von ihren Depressionen, ihrer Müdigkeit und der zunehmenden körperlichen und psychischen Schwäche. Zugleich werden diese Gefühle immer wieder unterbrochen durch den Ausbruch einer Kraft, die den Widerstand aufrecht erhalten wird: „Wir werden weitermachen, solange es eben dauert, bis wir gewinnen“, sagt Rosa Elvira Coc. Und zwar gewaltfrei.
Gewaltfreiheit heißt Inka Tawasik
German Choc (auf Foto 2 der 2. von rechts), Sohn der Aktivistin Angelica Choc (Foto 1) und in Folge der Gewalt gegen ihn im Rollstuhl sitzend, sagte, dass es bei den Q’eqchi‘ den Begriff Inka Tawasik für Gewaltfreiheit gebe. In der Q’eqchi‘-Kultur werde der Respekt vor jedem Leben als besonderer Wert angesehen. Ein Leben in Frieden und in Harmonie mit Mutter Erde werde angestrebt.
Auch in El Estor gab es einen Workshop in gewaltfreier Aktion, an dem Angelica Choc als Vertreterin der Gemeinschaft teilgenommen hat. Er wurde von der Studiengruppe für Gemeindearbeit und psycho-soziale Aktion (ECAP) durchgeführt. In dem Training wurde ausgelotet, mit welchen spezifischen Aktionsformen die jeweiligen Ziele des Protestes am besten umgesetzt werden können. Die Anführer*innen des Widerstandes der verschiedenen Dörfer im Bezirk El Estor besprechen die vermittelten Methoden des Widerstands und entscheiden über das Vorgehen im Einzelnen.
Und was sind die Ziele? Eine Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen, einen Ausgleich für die Schäden durch den Bergbau und einen Volksentscheid in den Gemeinden zur Frage der Minen.
Diese Forderungen werden in einer Pressekonferenz, auch aus Anlass unseres Besuches, bekräftigt und von dem bekannten Journalisten Carlos Ernesto Choc Chub aufgezeichnet und auf Prensa Comunitaria veröffentlicht. Choc war selbst viele Jahre kriminalisiert worden, da er den Mord an Carlos Maaz per Handy aufgezeichnet hatte. Im Februar 2024 wurde das Verfahren gegen ihn endgültig eingestellt.
Juristischer Erfolg?
Auf den juristischen Weg haben sich die Q’eqchi‘ über viele Jahre hinweg begeben. 2019 und noch einmal 2020 gab es Beschlüsse des Verfassungsgerichts, die den weiteren Betrieb der Mine Fenix verbot, so lange die indigenen Gemeinden nicht dazu befragt werden würden. Zugleich monierte es fehlende Umweltverträglichkeitsgutachten. Das Bergbauministerium hat die Mine offiziell stillgelegt und zugleich im Herbst 2021 einen Konsultationsprozess mit den indigenen Gemeinden gestartet.
Im April 2022 erklärte das Verfassungsgericht Guatemalas diesen Prozess für ungültig, da das MEM das Verfahren willkürlich ausgeführt und damit die Rechte des Volkes der Q’eqchi verletzt habe.
Laut Rechtsanwalt Rafael Maldonado, der die Prozesse der Gilde der handwerklichen Fischerei und der Q’eqchi von El Estor unterstützte, hat der guatemaltekische Staat noch offene rechtliche Fragen zu klären. Denn nach dem Verfassungsgerichturteil von 2022 haben Richter*innen des Obersten Gerichtshofs entscheiden, die Befragung zur Mine Fenix nicht zu überprüfen. Auch hier sind die willkürlichen und widersprüchlichen Auslegungen der guatemaltekischen Justizorgane sichtbar.
Und der Export aus der Mine geht weiter.
Export von Nickel und verarbeiteten Nickelprodukten
Der Beschluss des Verfassungsgerichts von 2019 bedeutete nicht zwangsläufig, dass dieser auch sofort umgesetzt wurde.
Das Beobachtungszentrum der Bergbauindustrie (OIE), eine Nicht-Regierungsorganisation (NGO), die von Oxfam unterstützt wird, errechnete, dass Solway im Jahr 2022 295.207 Tonnen Nickelerz exportierte und zugleich Lizenzgebühren in Höhe von 124.372,42 Quetzales an den Staat Guatemala abführte, was etwa 14.600 € entspricht. Im selben Jahr entdeckte die OIE, dass Solway sein Ferronickel weit unter dem üblichen Marktpreis von knapp 23.350 € pro Tonne an der Londoner Metallbörse verkaufte, nämlich für etwa 12.725 € pro Tonne, also fast der halbe Preis. Solway verzeichnete also Erlöse in Höhe von 3,756 Mrd. €, während der tatsächliche Marktpreis der verkaufen Menge bei 6,892 Mrd. € läge. Das OIE geht davon aus, dass diese Art von Verkauf es dem Unternehmen ermöglichte, weniger Lizenzgebühren an den guatemaltekischen Staat zu zahlen.
Nachdem laut Julio Luna, Staatssekretär im Bergbauministerium, in den Jahren 2023 und 2024 keine Ausfuhr genehmigt wurde, wurde nun für 2025 „PRONICO eine Exportlizenz erteilt, die für ein Jahr gültig ist“. PRONICO ist die guatemaltekische Tochterfirma von Solway.
In den Gemeinden, die gegen die Mine Fenix sind, werden die Aktivitäten und diese Genehmigung durch die neue Regierung erschrocken zur Kenntnis genommen.
Nach mehr als zehn Jahren: Entschädigungen für die verletzten Menschenrechte erlangt
Positiver ist aktuell der Ausgang eines juristischen Verfahrens gegen Hudbay Inc. in Kanada, das von Rights Action und anderen Solidaritätsgruppen unterstützt worden ist. Auch hier geht es um Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung durch das Unternehmen. Es wird damit eingefordert, dass die Konzerne endlich Verantwortung für ihr Handeln übernehmen.
Aktuell ist ein für die Aktivist*innen aus El Estor überaus positiver Vergleich mit Hudbay erzielt worden, wie Rights Action in einer Presseerklärung mitteilte.
Die Klagen der Anwält*innen der Kläger*innen vom Volk der Q’eqchi‘ gegen Hudbay Minerals Inc., damals Besitzer der Mine Fenix, beziehen sich auf:
- die Ermordung von Adolfo Ich Cháman (Ehemann von Angelica Choc),
- die zu einer dauerhaften Lähmung führende Schussverletzung von Germán Chub Choc, Sohn von Angelica Choc) – beides im Jahr 2009,
- und die Vertreibung der Maya-Gemeinde Grundstück 8 von dem umstrittenen Fenix-Minengelände im Jahr 2007, bei der die Klägerinnen Rosa Elvira Coc Ich, Margarita Caal und neun weitere Frauen anklagen, dass sie sexuell missbraucht worden seien.
Hudbay hatte alle Anschuldigungen stets zurückgewiesen.
Der Vergleich sieht eine Entschädigung für alle dreizehn Kläger*innen in den drei Verfahren vor. Das Geld soll für die Entwicklung der Gemeinden verwendet werden, sagt Margarita Caal. Angelica Choc [siehe Foto 1] und Rosa Elvira Coc drückten ihre Gefühle ähnlich aus: „Nichts kann das ändern, was uns widerfahren ist, aber dieser Vergleich ist eine Bestätigung für uns und wird es uns ermöglichen, mit der Heilung zu beginnen und unser Leben auf positive Weise fortzusetzen.“ Chocs Sohn, Germán Chub Choc, zeigte sich stolz, „dass wir für uns selbst eingetreten sind, uns gewehrt und dieses positive Ergebnis erzielt haben“.
Während die Vergangenheit zivilrechtlich bearbeitet worden ist, gehen in El Estor die politischen Konflikte der Gegenwart in die nächste Runde.
Von El Estor fährt die Reisegruppe weiter nach Südosten: nach Acuncion Mita, Jutiapa an der Grenze zu El Salvador, und nach Casillas, Santa Rosa. Dort gibt es eine Gold- und Silbermine. Die erste soll ihre Arbeit wieder aufnehmen, bei der zweiten hegen die Aktiven den Verdacht, dass dies trotz Stilllegung angestrebt wird. Mehr darüber in Teil 4.
Zum Autor
Stephan Brües, ist Redakteur von gewaltfreie aktion und seit 2009 Redakteur des Guatemala-Nachrichtendienstes ¡Fijáte!.
Er hat 1995 nach fünfmonatiger Feldforschung in Guatemala und Mexiko eine Diplomarbeit über die soziale Bewegung der Rückkehrer*innen von Mexiko nach Guatemala geschrieben. Nach zwei weiteren Reisen dorthin hat er darüber 2010 in dem Aufsatz „Der Quetzal rief … in ein wirtschaftlich prekäres Land. Die Ambivalenz der selbstorganisierten Rückkehr der Flüchtlinge“, in dem von Nikolas Reese und Judith Welkmann herausgegebenen Sammelband „Das Echo der Migration“ reflektiert.
Er nahm zwischen dem 4. und dem 12. Mai 2024 an einer Delegationsreise der US-kanadischen Menschenrechtsorganisation Rights Action teil. Rights Acton unterstützt seit Jahrzehnten den gewaltfreien Widerstand, insbesondere gegen Bergbauprojekte in Guatemala und andere Ländern in Zentralamerika.