Eine vierteilige Reportage von Stephan Brües
Nach dem Besuch der Widerstandsorte La Puya und El Estor fährt die Reisegruppe weiter Richtung Südosten zu den Minen in Cerro Blanco, nahe der Grenze zu El Salvador, und in Casillas, in Santa Rosa. In beiden Orten ist die katholische Kirche beim gewaltfreien Widerstand besonders aktiv.
Erste Station: Cerro Blanco.
Goldmine Cerro Blanco nahe der Grenze zu El Salvador
Nahe der Grenze zu El Salvador fahren wir zunächst für ein Fotoshooting zur Goldmine Cerro Blanco. Sie besteht seit 2007, als dem Besitzer Goldcorp Inc. aus Kanada eine Genehmigung für den unterirdischen Goldabbau erteilt wurde. 2013 ließ das Unternehmen die Arbeit jedoch ruhen und verkaufte die Mine 2017 an Bluestone. Diese beantragten erst 2021 eine Genehmigung für den oberirdischen Abbau
Auch wenn der Betrieb ruht, sieht man beim Fotoshooting ein paar Motorräder und Autos in dem Gelände mit Verwaltungsgebäuden, Lagerhäusern und Maschinen. Der Goldabbau soll so bald wie möglich beginnen.
Arnulfo - Ein ex-Sprengmeister erzählt vom unterirdischen Tagebau
Anschließend treffen wir Arnulfo Diaz (Foto 2, vorne im Zentrum), der als Sprengmeister in dem Tunnelsystem arbeitete, aus dem das Gold zunächst geholt werden sollte.
Der damalige Besitzer der Mine Goldcorp stattete ihn nur mit einem Mini-Ohrstöpsel als Ohrenschutz aus, sodass er einen Hörsturz erlitt, der zum Verlust des Gehörs im rechten Ohr und zu Gleichgewichtsstörungen führte. Drei Jahre brauchte er, um wieder einigermaßen laufen zu können. Er schloss sich schließlich dem Widerstand an. Das Tunnelsystem, das Arnulfo aufsprengte, war durchsetzt von heißem Wasser, sodass das Unternehmen diese Art des Goldabbaus aufgeben musste.
Für Goldcorp und deren Nachfolger, Bluestone, gab es nun das Problem, dass nur für den Tunnelabbau eine Lizenz bestand, nicht aber für den noch verheerenderen Tagebau, den das Bergbauunternehmen plante.
Für die Menschen vor Ort gab es aber viel größere Probleme: Schon durch das Tunnelsystem sackte das Wasser der Brunnen ab von zwei auf zehn Meter Tiefe – eine Katastrophe. Zudem aber sollte nun der mit Quecksilber und Arsen verseuchte Abraum des Tagebaus auf einen künstlichen 175 Meter hohen Hügel gekippt werden. Bei Regen würde der verseuchte Müll den Fluss Ostúa und den See Güija verunreinigen, der halb zu Guatemala und halb zu El Salvador gehört.
Am 9. Januar 2024, fünf Tage vor der Amtseinführung des neuen Präsidenten Bernardo Arévalo (siehe mein Artikel über den gewaltfreien Kampf für seine Amtseinführung), hat die alte Regierung eine Lizenz ausgestellt, obwohl keine verwertbare Umweltverträglichkeitsprüfung vorgelegt worden war. Die aktuelle Umweltministerin wird gegen diese Lizenzierung vorgehen.
Die Aktiven, die wir in der katholischen Pfarrgemeinde in Asunción Mita trafen, erklärten uns all‘ diese Ungeheuerlichkeiten von Goldcorp, Bluestone und der alten Regierung mit Karten zum Gebiet Cerro Blanco und anschaulichen Zeichnungen (siehe Titelbild).
Die katholische Kirche ist neben der Umweltorganisation Madre Selva und der politischen Organisation Convergencia Democratica (deutsch: Demokratische Vereinigung) federführend im Widerstand.
Der Widerstand wiederum ist grenzüberschreitend, denn auch in El Salvador sind Bürger*innen wie auch die Regierung in Sorge um die Umwelt und widersprechen dem Bergbau in dieser Form.
Neben den Demonstrationen setzen die Aktivist*innen auf die Aufklärung der Menschen durch das Radio Estéreo Azúcar und über soziale Medien wie Facebook. Bereits im Jahr 2013 demonstrierten 500 junge Menschen gegen die Mine.
Und eine Aktivistin, die mir stolz einige Aktionen auf ihrem Smartphone zeigte, antwortete auf meine Frage zur Gewaltfreiheit explizit, dass diese sich aus dem katholischen Glauben speise.
Das ist am letzten von uns besuchten Widerstandsort in Casillas, Santa Rosa, ähnlich.
Die Silbermine Escobal
Die Silbermine Escobal in Casillas, Verwaltungsbezirk Santa Rosa, wurde von der kanadischen Firma Tahoe betrieben. 2018 ist der Betrieb nach einem Beschluss des guatemaltekischen Verfassungsgerichts endgültig eingestellt worden. Den Antrag dazu hatten Vertreter*innen des sog. Xinka-Parlaments, einem politischen Zusammenschluss der größten dort lebenden ethnischen Gruppe, eingereicht.
Federführend im Widerstand war hier die örtliche katholische Kirche, genauer die Aktiven der kirchlichen Diözesan-Kommission zum Schutz der Natur (CODADENA). Daneben ist das erwähnte Xinka-Parlament aktiv.
In Casillas gibt es einen Widerstandsort, der strategisch günstig auf der Hauptstraße zur seit 2018 stillgelegten Mine liegt.
Durch ständige Anwesenheit, Tag und Nacht, sieben Tage die Woche wollen die Aktivist*innen beobachten, ob Benzin oder andere wichtige Güter zur Mine gebracht werden. Gelegentlich blockieren sie solche Lieferungen, die sie als möglichen Beginn einer Instandsetzung der Mine ansehen. Sie trauen weder dem Unternehmen noch den Behörden, dass sie nicht doch versuchen, den Abbau voranzutreiben. Ihre ununterbrochene Anwesenheit wird – ähnlich wie in La Puya – durch das sich gegenseitige Abwechseln von Menschen aus den umliegenden Gemeinden ermöglicht – wie in einem Schichtbetrieb.
Besonders beeindruckend ist darüber hinaus, dass junge Leute aus den umliegenden Gemeinden in der Analyse on Wasser ausgebildet wurden. Der junge Mann Andrés erzählt, dass damit zum einen die Bewohner*innen über den Zustand ihres lebensnotwendigen Wassers informiert werden, zum anderen aber der kolumbianische Wissenschaftler, der an einem alternativen Umweltverträglichkeitsbericht schreibt, mit Daten unterstützt wird.
Die Menschen gehen davon aus, dass durch ihren Widerstand der erste Besitzer, Tahoe, entnervt die Mine verkauft hat.
Gewaltfreiheit
Was lässt sich über die Rolle der Gewaltfreiheit beim Widerstand in Casillas sagen?
Ich stehe mit der Aktivistin und Journalistin Sharon in Kontakt. Sie berichtet davon, dass 2012/13 gewaltsame Unruhen in der Umgebung von San Rafael Flores und Casillas ausgebrochen waren, die dem Widerstand gegen die Mine angelastet wurden. Zu Unrecht. Ein Ausnahmezustand wurde für einige Monate verhängt und die Unterdrückung nahm zu.
Diese Erfahrungen haben die Einsicht verstärkt, dass es unbedingt notwendig sei, auf Gewalt zu verzichten.
Fazit der Besuche in den vier Widerstandsorten
Es gibt viele Bergbauprojekte internationaler Konzerne in Guatemala; sie haben überall, wo wir sie gesehen haben, zu Wasserknappheit und -vergiftung geführt. Außerdem unterdrückten sie die Entwicklung der Bewohner*innen in ihrer Nähe. An allen Orten, die wir besucht haben, wurde das völkerrechtlich, aber auch verfassungsrechtlich vorgeschriebene Recht auf Beteiligung der lokalen indigenen Gemeinden nicht eingehalten. Manchmal wurden die indigenen Bewohner*innen aber auch erpresst, indem gedroht wurde, der Zugang zu Schulen oder Gesundheitsstationen würde nur dann gewährt, wenn die Mine unterstützt würde.
Besonders erschreckend war, was uns über die verschiedenen Betreiberfirmen der Goldmine in Cerro Blanco erzählt wurde. Sie vernichteten offenbar wissentlich die Lebensgrundlagen der Bewohner*innen: das Wasser wurde verseucht, die Nahrung vergiftet.
In einem korrupten politischen System werden Konzessionen vergeben, bei denen 90 % der Gewinne aus dem Bergbau ins Ausland gehen; die Giftstoffe aber im Land bleiben. Für die Menschen bedeutet dies nicht nur eine Missachtung ihrer Menschwürde, sondern auch ihrer Kultur und ihrer Verbindung mit Mutter Erde.
Letztlich prallen hier unterschiedliche Modelle der Entwicklung aufeinander: das auf Privateigentum und Ausbeutung beruhende exportorientierte, kapitalistische Wirtschaftsmodell und das auf kollektivem Eigentum beruhende Modell der Maya.
Auf der einen Seite die Ansicht, dass jedes Land als persönliches oder privatwirtschaftliches Eigentum gekauft und nach jeweiligem Gusto genutzt werden kann. Und auf der anderen Seite der Wert des Rechts auf Selbstbestimmung im eigenen, angestammten Land und des lokal organisierten Wirtschaftens. Dies haben die Menschen, mit denen wir gesprochen haben, in La Puya die Q’eqchi‘, in El Estor die Bewohner*innen in Cerro Blanco und die Xinka in Santa Rosa unmissverständlich zum Ausdruck gebracht.
Die Tatsache, dass der indigene Widerstand in Guatemala gewaltfrei ist, lässt sich anhand verschiedener Aspekte erklären:
Da ist die Effektivität der gewaltfreien Aktionen gegenüber dem gewaltsamen Widerstand, der von 1960-96 durch die Guerillas im Land praktiziert worden ist. Wenn andererseits Gewalt angewendet wird, und sei es auch nur im Umfeld und gegen den Willen der Aktiven des Widerstands, dann wird die Gewalt gegen den Widerstand genau dadurch insgesamt verstärkt.
Zur Effizienz gehört auch, dass die Aktivist*innen mehrfach erfolgreich Gerichtsverfahren angestrengt haben, um die Konzessionen für die Konzerne aberkennen zu lassen: Das gilt im Fall der Mine Escobal in Santa Rosa, wo ein Beschluss des guatemaltekischen Verfassungsgerichts die Ausbeutung der Silbermine, tatsächlich umgesetzt ab 2018, stoppte.
Und das gilt ganz ähnlich im Fall El Estor, wo ebenfalls das Verfassungsgericht 2016 zunächst einen Stopp anordnete. Später, 2020 stellte sie die Nicht-Einhaltung der Vorgaben für die angeordnete Befragung der indigenen Völker fest. Allerdings ist dieses Gerichtsurteil noch nicht umgesetzt worden und der Oberste Gerichtshof hat sich auch geweigert, die staatlichen Autoritäten in diese Richtung zu drängen. Der Export von Nickelprodukten geht nach zweijähriger Pause weiter und wurde gerade für ein weiteres Jahr genehmigt.
Auf der anderen Seite ist aktuell, ebenfalls in Bezug auf El Estor, ein Vergleich von Opfern von Menschenrechtsverletzungen mit dem damals zuständigen Konzern Hudbay erzielt worden. Die Entschädigungen werden den Gemeinden zugute kommen.
Neben dem gewaltfreien Widerstand auf der Straße bleibt der juristische Widerstand also eine wichtige und durchaus erfolgversprechende Möglichkeit für die Aktiven.
Abgesehen von der Effektivität gewaltfreien Handelns spielt aber auch die Haltung der Menschen eine gewichtige Rolle. Da ist der Wert des Lebens und der Mutter Erde, die tief in der Maya-Kultur verwurzelt seien, so sagen es Aktive der Q’eqchi in El Estor oder der Xinka in Casillas.
Ein dritter Aspekt ist der Beitrag der Katholischen Kirche und deren solidarischer Einsatz für Menschenrechte und gewaltfreien Widerstand.
Was auf jeden Fall festzuhalten ist: Die indigene Bevölkerung wird immer selbstbewusster und streitet gewaltfrei für ihre Rechte und für die Natur ihrer Gebiete. Das ist ein bedeutsamer Hoffnungsschimmer für dieses gebeutelte Land.
Zum Autor
Stephan Brües, ist Redakteur von gewaltfreie aktion und seit 2009 Redakteur des Guatemala-Nachrichtendienstes ¡Fijáte!.
Er hat 1995 nach fünfmonatiger Feldforschung in Guatemala und Mexiko eine Diplomarbeit über die soziale Bewegung der Rückkehrer*innen von Mexiko nach Guatemala geschrieben. Nach zwei weiteren Reisen dorthin hat er darüber 2010 in dem Aufsatz „Der Quetzal rief … in ein wirtschaftlich prekäres Land. Die Ambivalenz der selbstorganisierten Rückkehr der Flüchtlinge“, in dem von Nikolas Reese und Judith Welkmann herausgegebenen Sammelband „Das Echo der Migration“ reflektiert.
Er nahm zwischen dem 4. und dem 12. Mai 2024 an einer Delegationsreise der US-kanadischen Menschenrechtsorganisation Rights Action teil. Rights Acton unterstützt seit Jahrzehnten den gewaltfreien Widerstand, insbesondere gegen Bergbauprojekte in Guatemala und andere Ländern in Zentralamerika.